Montag, 11. Oktober 2010

10.10.2010 Dresden-Riesa und zurück

Da hatte ich doch den Wecker überhört und verschlafen, wenn auch nur um eine Viertelstunde. Das war nicht weiter schlimm, schließlich kommt es beim Start einer Radtour nicht auf die Minute an. Ich hatte zuvor dies und jenes zu tun, wollte in Ruhe frühstücken, und Sohn Daniel kam auch noch dazu. Bei Kerzenschein fühlte ich mich schon in die Adventszeit versetzt, die ich viel lieber mag als das Weihnachtsfest an sich, und es tat mir ein wenig leid, so früh am Morgen wegzufahren, statt gemütlich mit der Familie in den Tag zu starten. Aber ein sonniger Herbsttag war angekündigt, vielleicht die letzte Gelegenheit in diesem Jahr zu einer größeren Radtour, und die wollte ich nutzen.

Kurz nach sieben fuhr ich in einen stimmungsvollen Morgen. Dünne Nebelschleier lagen über den mit Raureif bedeckten Wiesen. Es war kalt geworden, vier Grad über Null, und ich hatte mich dementsprechend angezogen. In Serkowitz gibt es eine kleine Umleitung durch Nebenstraßen, die anfangs beschildert ist. Mein Sohn hatte mich darauf hingewiesen und mir gesagt, wie ich fahren musste. Als ich wieder an der Elbe war, ging die Sonne auf. Rings um einen Rastplatz lagen Scherben verstreut – wenn ich sowas sehe, kriege ich Hassgefühle.

Am Fluss entlang, wo der Nebel dichter wurde, war es sehr schön, und die Morgensonne schien golden übers Land. In Erwartung der kalten Jahreszeit nahm ich immer wieder die Kamera zur Hand, um etwas von diesem Herbsttag festzuhalten. Vergänglichkeit gibt allem einen unschätzbaren Wert.

Ich nahm wieder die Umleitung des Elberadwegs über Altkötzschenbroda. Der Nebel verdichtete sich noch mehr. Der Dorfkern war die reinste Waschküche, und an der Elbe sah es nicht besser aus. Die Sichtweite betrug schätzungsweise fünf Meter. Hinter Radebeul schaltete ich das Licht ein und war froh, die Strecke zu kennen. Die Bauarbeiten bei Niederwartha sind so weit fortgeschritten, dass der Elberadweg geradewegs unter der neuen Brücke hindurchführt. Von der Brücke war wegen des Nebels nur wenig zu sehen. Ein paar Pferde, die auf einer Weide standen, wirkten zunächst ein wenig unheimlich, aber vermutlich ging es ihnen mit mir nicht anders, denn sie sahen aufmerksam zu mir herüber. Ich hoffte darauf, dass sich die Sonne bald durchsetzen und den Nebel vertreiben würde, und ab und an sah ich ein wenig Blau über mir. Aber auch hinter Coswig wurde es nicht besser. Ich fuhr auf Meißen zu und konnte weder die Elbe, noch den Himmel oder irgendwelche Details sehen.

Schon unsere Pilzwanderung am Vortag hatte mich ein wenig geschlaucht; am Nachmittag danach hatte ich gefaulenzt, um mich für die Radtour auszuruhen. Von meinem ursprünglichen Vorhaben, erst nach Moritzburg und von dort aus weiter nach Meißen zu fahren, hatte ich abgesehen; solche Runden habe ich mit Sicherheit noch nicht wieder drauf. Mit der Tour, die ich mir wünschte, würde ich völlig ausgelastet sein. Außerdem wollte ich so wenig wie möglich auf Straßen fahren.

Das lange Fahren im Nebel fing an, die Stimmung und auch die Kondition zu drücken. Ich dachte nicht über den weiteren Verlauf der Strecke nach. Erst einmal musste es klar und sonnig werden.

Als ich in Meißen ankam, verschwand der Nebel binnen weniger Sekunden. Dom und Albrechtsburg waren gut zu sehen. Die Elbe hat immer noch einen erhöhten Wasserstand, und unterhalb der Elbbrücke war der Radweg überflutet. Man konnte aber daneben über Pflastersteine gehen und das Rad schieben. Zurück auf dem Radweg, fuhr ich weiter bis zum Rastplatz hinter der Stadt. Es war neun Uhr, und die erste Pause hatte ich eine Weile schon ersehnt. Die Bänke waren nass vom Tau. Hatte ich nun das erste Drittel oder das erste Viertel meiner Tour hinter mir? Das würde sich zeigen. Ich sah das Elbtal vor mir liegen, und auf einmal verließ mich das Bedürfnis, zu pausieren. Ich trank nur kurz etwas und fuhr weiter. Diesbar, dachte ich mir, würde auch ein guter Platz zum Rasten sein.

Der schönste Herbsttag brach an. Nach der Nebelfahrt waren die Eindrücke überwältigend: blauer Himmel, glitzernde Wiesen, buntes Laub. Nur wenige Menschen waren mir bisher begegnet, einige Läufer, vereinzelte Radfahrer. Beinahe windstill war es, die Elbe war spiegelglatt und schimmerte blau. Kurz vor zehn Uhr kam ich in Diesbar an, nahm auf einer Bank in der Sonne Platz und machte zehn Minuten Pause. Die ersten Wanderer waren unterwegs, außerdem Leute mit kleinen Kindern, welche ihre Eltern wahrscheinlich beizeiten geweckt hatten. Ich kann mich auch noch gut an solche Spaziergänge am Morgen erinnern und freute mich umso mehr über die zurückgewonnene Freiheit, da die Kinder erwachsen werden.

Nun war ich wieder energiegeladen und dachte an das, was ich mir beim Losfahren vorgenommen hatte: alles nur Mögliche aus mir herauszuholen, wenn es nötig sein sollte. Weiter vorn sah ich silberne Schornsteine leuchten. Das war Nünchritz! Zweifellos würde ich dorthin fahren – und am liebsten noch ein Stück weiter. Es ging weiter durch Seußlitz und Merschwitz, und von dort aus war es nur noch ein Stück bis nach Nünchritz. Ich fuhr den ausgeschilderten Radweg am Chemiewerk entlang. Der Pfad an der Elbe ist wegen einer Baustelle gesperrt. Es war wärmer geworden, aber ich konnte weder auf Handschuhe verzichten, noch irgendein anderes Kleidungsstück abwerfen. Acht Kilometer bis Riesa – das wollte ich schaffen.

Im Winter sind Radtouren nicht unmöglich, bei weitgehend schnee- und eisfreien Wegen kann man durchaus fahren. Ich bin schon nach leichtem Neuschnee nach Meißen gefahren, aber bis Riesa und zurück – das würde ich doch bleiben lassen. Deshalb genoss ich ausgiebig diesen goldenen Herbsttag und das Elbtal, das zwischen Meißen und Riesa sehr idyllisch ist. Vorbei ging es an Grödel und der Windmühle, weiter nach Moritz, wo Riesa in Sichtweite kommt. Der Elberadweg führt über einen Deich, und man kann gut nach allen Seiten sehen. Die Elbbrücke bei Riesa war Wendepunkt, aber Pause machen wollte ich erst wieder an einem der schönen Rastplätze bei Moritz oder Grödel. Es war dann schon Moritz, kurz vor halb zwölf; ich hatte die Pause nötig. Es gab einen Proteinshake und Apfelschorle. Künftig werde ich wohl nur noch Bananen, Müsliriegel und solche Shakes mitnehmen, es sei denn, ich wünsche mir etwas anderes. Wasser ist natürlich besser, aber ich hatte nicht entsprechend vorgesorgt.

Nach zehn Minuten brach ich wieder auf. Ich hatte nun Gegenwind, und der war recht frisch, so dass ich noch immer in voller Montur fahren musste. Ein paar Senioren, die mir entgegen kamen, waren allerdings angezogen, als wollten sie zum Nordpol fahren – am Nachmittag müssen sie ganz schön geschwitzt haben. Immer mehr Radfahrerkolonnen tauchten auf, aber noch hielt sich der Verkehr in Grenzen. Bei Leckwitz – ich hatte das Chemiewerk hinter mir gelassen – zog ich eine meiner beiden Jacken aus und verstaute sie samt Handschuhen und Stirnband in meiner Packtasche. Als ich in Diesbar ankam, war es richtig warm geworden. Spaziergänger mischten sich unter die Radfahrer. Es war kurz nach halb eins. Ich machte ein paar Minuten Pause. Eine Stunde schätzungsweise bis Meißen – und dann weitersehen. Der Gegenwind machte sich bemerkbar, ich war wesentlich langsamer als auf der Hinfahrt. Es zog sich hin bis Meißen, und ich überholte nur noch ungern, wenn es gar nicht anders ging. Dann kam Meißen in Sicht. Es gibt dort eine sehr schmale Streckenführung zwischen Straße und Elbufer, durch Geländer gesäumt, wo zwei Fahrräder gerade so aneinander vorbei fahren können. Ich mag diesen Engpass überhaupt nicht und bin immer froh, wenn ich ihn hinter mir habe. Nun war schon einiger Betrieb dort, und die meisten Leute fuhren vorsichtig. Ich hatte den Großteil des Weges hinter mir, als so ein Jüngelchen mit unverminderter Geschwindigkeit auf mich zu und an mir vorbei fuhr. Ich war so weit wie möglich ausgewichen, hatte mich aber verkalkuliert, streifte das Geländer und machte mit dem Rad eine Bauchlandung, die aber, weil ich langsam gefahren war, harmlos ausfiel. Zum Glück war niemand hinter mir gewesen. Den Lenker hatte es ein Stück zur Seite gebogen, aber das ließ sich problemlos korrigieren.

An der Elbpromenade machte ich wieder Pause, diesmal auf einer Bank im Schatten. Nun war ich froh, noch ein Brötchen mitgenommen zu haben. Ich sah eine S-Bahn über die Brücke fahren. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, nach Hause zu kommen, aber ich wollte auch das letzte Viertel der Strecke mit dem Rad zurücklegen. Nach zehn Minuten ging es weiter. Hinter Meißen war ich ziemlich geschafft. Nächste Station Coswig. Viele Radfahrer zogen an mir vorbei, was mich nicht weiter störte. Ich wollte zurück nach Dresden, sonst nichts.

Bei Niederwartha fiel mir auf, dass Fußgänger und Radfahrer bereits auf der neuen Brücke unterwegs waren. Nun wurde es richtig voll auf dem Elberadweg – so ein Gedrängel macht mir keinen Spaß mehr. Da lobe ich mir doch die Morgenstunden! Kurz vor Altkötzschenbroda stauten sich Autos und Radfahrer; es ging weder vorwärts noch rückwärts. Einige Radfahrer hatten keine Lust, zu warten, dass sich der Stau auflöste, sondern fuhren drauflos, jede Lücke ausnutzend. Ich fuhr ihnen hinterher und irgendwie da durch – ich wollte nur noch heim. Folgt man in Altkötzschenbroda den Umleitungsschildern, gelangt man auf einen Plattenweg, der zwischen Häusern und Feldern entlang führt. Wahrscheinlich hatte ich das Schild bisher übersehen. Auf die Weise kann man sich die Fahrt über die Hauptstraße sparen.

Als ich Altkaditz vor mir liegen sah, begriff ich, dass ich mein Tagesziel erreicht hatte. Zwei Kilometer noch bis nach Hause – eine Kleinigkeit. Die letzten Meter fuhr ich ganz gemütlich. Viertel vier war ich zuhause. Insgesamt habe ich knapp hundert Kilometer zurückgelegt. Zeitweise hat der Schwung gefehlt; wahrscheinlich war es zu viel an diesem Wochenende gewesen. Aber letztlich doch zu schaffen.

Samstag, 18. September 2010

18.09.2010 Dresden-Diesbar/Seußlitz und zurück

Herbstlich ist es draußen geworden. Der Baum vor dem Bürofenster hat sich rot gefärbt, und sieht man das Laub und den Himmel darüber, möchte man am liebsten nach draußen, zu einer Wanderung aufbrechen, anderes tun als Aufträge zu bearbeiten und Anrufe entgegen zu nehmen. So ging es mir am Freitag, als das Wochenende schon in Sicht war, und ich begann, Pläne zu machen. Gern wäre ich ins Gebirge gefahren, kam dann aber doch auf etwas Anderes: ich sehnte mich nach meinem Lieblingsabschnitt des Elberadwegs.

Um Fünf stand ich auf und fuhr dreiviertel Sieben los. Der Familie hinterließ ich eine aufgeräumte Küche und einen gedeckten Frühstückstisch; am Vorabend hatte ich gekocht und Kuchen gebacken. Ich bin immer ganz froh, wenn all das erledigt ist, ehe ich aufbreche. Mein Mann sollte nach der Spätschicht erst einmal ausschlafen können – deswegen keine Wanderung, sondern Radfahren.

Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch ihr Schein ließ die Häuserdächer orangerot strahlen und der Osthimmel war rosa gefärbt. Die Morgenstunden sind oft die schönsten vom Tag, und deshalb bin ich gern früh unterwegs. Bei Radebeul ist ein Teil des Elberadwegs wegen Deichbauarbeiten gesperrt. Ich nahm die ausgeschilderte Umleitung über die Kötzschenbrodaer Straße. Früh am Morgen fuhr es sich dort noch gut; auf dem Rückweg war es bereits unangenehm wegen der vielen Autos, die unterwegs waren, vor allem aber wegen der Fahrer, die rücksichtslos drängelten und den Radfahrern viel zu nahe kamen. Diese Umleitung ist eine Gefahrenquelle – im Berufsverkehr mag ich mir das gar nicht vorstellen! - und ich hoffe, dass sie bald nicht mehr nötig sein wird!

Weiter ging es durch Altkötzschenbroda, einen wunderschönen Stadtteil von Radebeul. Dort möchte man am liebsten das Rad abstellen und bummeln gehen, aber ich war ja unterwegs, um meine Kondition zu steigern, und deshalb fuhr ich weiter, traf wieder auf den Elberadweg und fuhr bald auf Niederwartha zu. Der Brückenbau hat große Fortschritte gemacht; man muss aber immer noch einen kleinen Umweg fahren, der beschildert ist.

Ich hatte vor, in jedem Fall bis Meißen zu fahren, wünschte mir aber, noch ein Stück weiter zu kommen. Es sah nach einem freundlichen Spätsommertag aus, der Himmel war stellenweise blau. Ein Feld mit Sonnenblumen breitete sich rechts von mir aus, die Blumen leuchteten intensiv in der Morgensonne. Der Wind wehte mir aus westlicher Richtung entgegen. Gegenwind hat den Vorteil, dass man seine Kräfte besser einteilt. Außer mir waren nur wenige Fahrer unterwegs, junge Männer in sportlicher Montur oder Einheimische, die vermutlich zu ihren Gärten fuhren. Die jungen Männer zogen schnell an mir vorbei; ich begnügte mich damit, die Einheimischen zu überholen, wenn sie mir zu langsam waren. Ich wollte ausdauernd fahren und dachte dabei an die Worte, mit denen uns unsere Yoga-Lehrerin immer ermahnt: jeder achte auf sich selbst und versuche nicht, mit anderen zu konkurrieren. Ich finde diese Aufforderung sehr wichtig und hilfreich, denn wenn es überhaupt einen Widersacher gibt, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat, dann den, der in einem selber steckt.

Der Wind kräuselte das Wasser zu den vielfältigsten Kreiseln und Strömungen, dann aber, hinter Coswig, wurde die Elbe auf einmal ganz glatt und ruhig, und der Himmel spiegelte sich in ihr. Vor Meißen weitet sich das Elbtal. Ich halte gern dort an, um diese Weite zu genießen, dem Wind zu lauschen und nach oben zu den Wolken zu schauen, und auch dieses Mal sah ich mich nach allen Seiten um und fand den Ort und die Wirkung, die von ihm ausgeht, sehr ergreifend.

Diesen Abschnitt des Elberadwegs zu fahren, ist für mich, wie nach Hause zu kommen; ich habe die Tour auch schon beschrieben. Je näher ich der Stadt Meißen kam, desto mehr kam ich im Draußen-Sein, im Unterwegs-Sein an - und konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen.

Die Kleingärten am Wegrand waren hübsch anzusehen, die Dahlien standen in voller Pracht, Äpfel, Pflaumen und Quitten reiften, und ich erinnerte mich an unseren Blumen- und Gemüsegarten, den wir längst abgegeben haben. Manchmal denke ich, dass so ein Nutzgarten viele Vorteile hat und auch Freude macht, aber hätten wir ihn noch, fände ich keine Zeit für Touren. Also doch lieber Radfahren und aufs Gärtnern verzichten.

Hinter Meißen machte ich die erste kurze Pause und hatte einen schönen Blick zurück auf Dom und Albrechtsburg. Die zurückgelegten Kilometer – etwas über zwanzig – spürte ich bereits. Diera-Zehren war das nächste Ziel, das ich gern erreichen wollte, aber ich sah noch ein Stück weiter Richtung Diesbar und dachte mir: das schaffe ich doch. Vorbei ging es an Weinbergen, wo Leute schon bei der Arbeit waren. Diera-Zehren war bald erreicht. Dort kreisten drei Rotmilane über mir. Zwei von ihnen waren recht groß, einer war kleiner, aber sie alle waren ziemlich beeindruckend mit ihren ausgebreiteten Schwingen und den gegabelten Schwänzen. An der Elbe zwischen Meißen und Riesa kann man sie relativ häufig beobachten.

Ein Schild zeigte 17 Kilometer bis Riesa an, dorthin wollte und konnte ich mit Sicherheit nicht fahren, aber Diesbar-Seußlitz war nun ein realistisches Ziel. In Nieschütz hatte ich auf einmal wieder viel Schwung – solche Phasen gibt es immer mal, wenn man unterwegs ist. Bewegung im Freien kann sehr viel Energie spenden. In den vergangenen Wochen habe ich oft gedacht, Leistungseinbußen hinnehmen und einen allgemeinen Verfall akzeptieren zu müssen. Wahrscheinlich habe ich wieder einmal zu schwarz gesehen, denn einiges kann man gewiss tun, um fit zu bleiben. Mit einigen Veränderungen wird man sich wohl abfinden müssen. Unterwegs begann ich mir zu wünschen, bis zum letzten Atemzug aktiv zu sein. Ist das vermessen?

Der Elbbogen bei Diesbar kam in Sicht und bald auch der Ort selbst, idyllisch gelegen und von Felsen umgeben. Während ich mich umsah, erblickte ich einen Raubvogel, der über das Wasser flog. So groß, wie er war, hatte ich ihn kurzzeitig für einen Storch gehalten, aber mir wurde schnell klar, dass es keiner sein konnte. Er war größer als die Milane, die ich kurz zuvor gesehen hatte, sehr kräftig, mit weißem Kopf und Hals und hellen Schwanzfedern. Das musste ein Seeadler sein! Er flog direkt auf den nächsten Felsen zu, wo er landete und sitzen blieb, um das Elbtal zu überblicken. Fasziniert hielt ich einen Moment an, um ihn zu beobachten. Es ist bekannt, dass es in der Gegend um Meißen Seeadler gibt, und ich habe mir schon oft gewünscht, einen zu sehen. Bisher hatte ich nur einmal in der Gegend um Moritzburg so ein seltenes Exemplar beobachten können.

Da er sich nicht von der Stelle rührte, fuhr ich weiter nach Diesbar, um dort kurz Rast zu machen. Den Felsen ließ ich nicht aus den Augen. Ich war von dem Erlebnis so euphorisiert, dass auch eine Rückfahrt mit heftigem Gegenwind oder im strömenden Regen an meinem Glücksempfinden nichts geändert hätte. Als ich umkehrte und mich wieder dem Felsen näherte, war der Seeadler nicht mehr zu sehen.

Bei der Rückfahrt hielt ich ein gleichmäßiges Tempo und machte noch drei kurze Trinkpausen, was für eine solche Tour recht häufig war. Die Kondition muss eben erst wieder aufgebaut werden. Die ersten größeren Gruppen von Radfahrern kamen mir entgegen. Hinter Meißen traf ich immer öfter auf Radler, meist Touristen, die regelmäßig anhielten und Fotos machten, was ich gut verstehen kann. Ich hatte dieses Mal keine Kamera mitgenommen, weil ich so zügig wie möglich fahren wollte, schätzte mich aber glücklich, so eine malerisch schöne Gegend in unmittelbarer Nähe zu haben. Und ich freute mich über die zurückgelegte Strecke. Knapp 65 Kilometer müssen es gewesen sein, mein Ego hat sie gebraucht, zugegebenermaßen. Eine Genießer-Tour war es aber trotzdem – oder gerade deswegen.

Sonntag, 12. September 2010

11.09.2010 Dresden-Volkersdorf-Rähnitz-Dresdner Heide und zurück

Es kommt mir selber unwahrscheinlich vor: dies war tatsächlich meine erste richtige Radtour, seit wir Mitte Juni auf dem Elberadweg unterwegs waren. Am vergangenen Wochenende bin ich eine reichliche Stunde Rad gefahren, die ich eher als Vorbereitung verstand. Außerdem wurde ich in Radebeul durch eine Sperrung des Elberadweges frühzeitig gestoppt und habe mir in Konsequenz daraus eine Tour Richtung Moritzburg vorgenommen.

Gegen 8 Uhr fuhr ich los. Man merkt, dass die Tage kürzer geworden sind; die Sonne geht erst nach halb sieben auf, und vorher kam ich nicht aus dem Bett.

Die Richtung stand fest; ich wollte in Moritzburg wieder einmal meine Lieblingsmotive fotografieren und dann nach Radeburg weiterfahren. Am Boxdorfer Berg herrschte starker Verkehr. Ich schob mein Rad hinauf; das ist, im Unterschied zur Fahrt mit dem Bus, auch eine Art Training. Training ist momentan das Stichwort oder eher ein Motto, das nicht nur am Wochenende gilt, und begonnen hat es mit jener Stunde Radfahren am vergangenen Samstag. Auch Wandern oder ein längerer Spaziergang dürfen es sein: irgendein Ausdauersport am Wochenende gehört zum Programm, das ich mir erstellen ließ. Ich habe mich dazu entschlossen, mich ab und an mit einem Trainer abzusprechen, neue Ziele abzustecken und sachkundigen Rat einzuholen, denn nicht immer kann man Motivation nur aus sich selbst beziehen.

In Boxdorf angekommen, hat man das Elbtal verlassen, und die Fahrt auf der Alten Dresdner Straße bietet Ausblicke bis ins Lausitzer Bergland. Dort kann man streckenweise das Rad einfach rollen lassen, den Fahrtwind im Gesicht spüren und in die Ferne schauen. Die Straße führt weiter an den Waldteichen vorbei; man kann an mehreren Stellen nach Moritzburg abbiegen. Waldwege sind nach Regenfällen eher nicht zu empfehlen, und deshalb wollte ich eine Straße nehmen, die einen weiten Bogen durch den Wald macht, gut befahrbar ist und direkt in den Ort führt. Leider war die Straße gesperrt, und ich entschied mich für eine andere Route, fuhr weiter auf der Landstraße nach Volkersdorf hinein. Dort wandte ich mich nach rechts Richtung Dresden, was nicht hieß, dass ich schon umzukehren beabsichtigte. Kurz nach dem Ortsausgang biegt auf der linken Seite ein Feldweg ab. Man sieht schon von weitem, dass er unter der Autobahn hindurch führt. Dies ist nach meiner Kenntnis der kürzeste Radweg zwischen Moritzburg/Volkersdorf und der Dresdner Heide. Er ist nicht ausgeschildert; ich hatte ihn nach Vororientierung an Hand der Radwanderkarte einmal ausprobiert. In besonders gutem Zustand ist dieser Weg nicht: sandig, holprig und voller größerer Schottersteine, denen man besser ausweicht. Er führt in ein Wäldchen hinein, wo er eine weitere Autobahntrasse überquert. Die interessante Streckenführung wiegt die Unannehmlichkeiten des Weges einigermaßen auf. Der Weg scheint weniger bekannt zu sein; man trifft nur selten auf andere Radfahrer oder Spaziergänger. Er führt direkt zum Flughafen.

Als ich in das Wäldchen fuhr, hörte ich ein Flugzeug über mir, konnte es jedoch nicht sehen. Ich hoffte aber, noch mehr Flugzeuge starten oder landen zu sehen. Bald kam ich aus dem Wald heraus, fuhr ein Stück bergauf und fand mich nach einigen Metern am Flughafengelände wieder; der Weg führt direkt am Zaun entlang. Ich fuhr um das Gelände herum und hielt neben der Einflugschneise an, aber kein Flugzeug war weit und breit zu sehen oder zu hören. An anderen Tagen hatte ich mehr Glück; die Flieger kommen einem dort sehr nahe. Bei sonnigem Wetter und blauem Himmel ist das eine gute Gelegenheit, ein wenig zu träumen. Der Dresdner Flughafen ist angenehm überschaubar, modern und hat eine schöne Besucherplattform. Bei der Wahl eines ferneren Urlaubsziels spielt es für uns durchaus eine Rolle, ob wir von Dresden aus fliegen können. Träume, das ist mir in letzter Zeit klar geworden, sind allein schon ihrer motivierenden Wirkung wegen wichtig. Manche lassen sich sogar realisieren, und bei diesem Gedanken freute ich mich auf den bevorstehenden Urlaub in ein paar Wochen.

Da sich am Flughafen nichts tat, fuhr ich weiter nach Rähnitz. Dort musste ich eine stark befahrene Straße überqueren, was sich als etwas schwierig erwies. Offensichtlich war das ganze Umland nach Dresden unterwegs. Irgendwann klappte es dann doch, und ich fuhr weiter nach Weixdorf und hinter dem dortigen Waldbad in die Heide hinein, froh, die Landstraßen hinter mir lassen zu können. Wenn die Straßen zu voll sind, ist eine Fahrt durch die Heide immer eine gute Alternative. Das Waldbad Weixdorf, ein Naturbad, ist zur Erholung und zum Erfrischen durchaus zu empfehlen, aber für dieses Jahr kommt das wohl nicht mehr in Frage.

Die Strecke war bislang abwechslungsreich und hügelig gewesen und würde es auch bleiben. Ich war zufrieden und guter Dinge. In den vergangenen Wochen waren Kondition und Motivation auf dem Tiefpunkt gewesen, gesundheitliche Probleme hatten sich gehäuft in diesem Jahr, und ich kann nicht einmal sagen, was nun Ursache und was Wirkung war; vermutlich spielte Verschiedenes ineinander. Zeitweise aufs Radfahren verzichten zu müssen, hat den Mut ziemlich sinken lassen; schließlich ist mir das Rad viel mehr als nur ein Fortbewegungsmittel. Aber nun gibt es neue sportliche Ziele sowie ein gutes und, was noch wichtiger ist, realistisches Trainingsprogramm.

Wieder auf Tour zu sein, fühlte sich richtig gut an. Ich konnte in die Pedalen treten, mich anstrengen und kam auch die meisten Hügel hinauf. Zwischen Weixdorf und Langebrück ist die Heide sehr ruhig; ich fuhr Richtung Hofewiese, um sie von Norden nach Süden zu durchqueren. Nachdem ich die Langebrücker Straße überquert hatte, kam ich zu weit nach rechts von meiner Route ab, denn irgendwann befand ich mich auf dem Weg, der durch unser Pilzgebiet führt. Dieser Umweg war kein Problem: ich fuhr ein Stück zurück, widerstand der Versuchung, nach Pilzen zu schauen, und bog an unserer gewohnten Kreuzung Richtung Hofewiese ab. Von dort aus ging es hinunter ins Prießnitztal; wieder eine flotte Talfahrt, der ein Anstieg folgte, wo ich schieben musste. Sogar am Steinpilzwald war ich vorbei gefahren. Für den folgenden Tag hatten wir ohnehin eine Pilzwanderung geplant, so dass ich mich gut aufs Training konzentrieren konnte. An der Marienallee verließ ich die Heide, überquerte die Stauffenbergallee und fuhr die Forststraße entlang bis zur Bautzener Straße, die ich am Diakonissenkrankenhaus überquerte. Ich fuhr zur Elbe hinunter und weiter auf der Neustädter Seite nach Hause. Dabei hatte ich Gelegenheit, über die neue Molenbrücke zu fahren, die seit ihrer Eröffnung in der vergangenen Woche von zahlreichen Fußgängern und Radfahrern gern genutzt wird. Ich freue mich über diese Brücke nicht nur, weil ich sie täglich auf meinem Weg zur Arbeit überqueren kann, sondern vor allem, weil sie den Elberadweg ein Stück attraktiver und komfortabler macht. Nach den schlechten Entscheidungen in Sachen Brückenbau verfügt Dresden nun über eine wirklich vorzeigbare Brücke, eine hübsche, kleine Attraktion.

Drei Stunden war ich an diesem Tag unterwegs gewesen, zwischen 30 und 35 Kilometer gefahren; belastungsmäßig hat es genau gepasst. Und wenn ich mir auch weitere Touren wünsche – froh und glücklich bin genau jetzt über diese eine.

Donnerstag, 24. Juni 2010

15.6.-18.6.2010: Magdeburg - Dresden

Wir sind die erste Mehrtagestour gefahren, und weil der Umfang die Möglichkeiten eines Blogeintrags gewaltig sprengen würde, sei auf diesen Reisebericht verwiesen.

Samstag, 12. Juni 2010

11.06.2010 Dresden – Pirna und zurück

Tja – so richtig Kilometer schaffen wollte ich dieses Mal nicht. Dennoch hatte ich vor, dieser kurzen Radtour einen Eintrag zu widmen. Meist gibt es so viel über den Verlauf der Tour zu berichten, dass für all das, was ich sonst noch erzählen möchte, wenig Raum bleibt.

Aufgewacht war ich gegen sechs Uhr – ich hatte mir nicht den Wecker gestellt – , aber aufstehen mochte ich zunächst nicht. Am Vorabend war ich länger als gewohnt aufgeblieben. Normalerweise bin ich Frühaufsteherin, doch im Juni, wenn die Tage kürzer sind, bin ich auf Sommer eingestellt und würde mir gern mehr Leichtigkeit, Freiheit und Abweichungen vom normalen Rhythmus gestatten – hin und wieder zumindest. An Werktagen ist das leider ausgeschlossen, da muss ich hundertprozentig fit sein. In den letzten Wochen sind mir ohnehin zu viele Fehler bei der Arbeit unterlaufen: Zeit also, Urlaub zu machen.

Für einen Urlaubstag stand ich recht früh auf, weil diese Tour nicht nur meinem Vergnügen dienen, sondern einen praktischen Zweck erfüllen sollte. Aber ich ging es ruhig an, erledigte noch ein paar Kleinigkeiten und frühstückte mit Sohn Nr. 3, der ebenfalls frei hatte.
Kurz nach halb acht fuhr ich los. Es war sonnig und warm, und der Tag sollte richtig heiß werden.

Um die Natur erwachen zu sehen, war es viel zu spät. Ich rechnete auch mit Andrang auf dem Elberadweg; aus diesem Grund verlasse ich die Stadt ungern in östlicher Richtung. Ungeachtet des lebhaften Verkehrs auf dieser Strecke ist der Weg oft sehr schmal. Ich hatte die Wahl gehabt, mit der S-Bahn oder mit dem Rad nach Pirna zu fahren, aber die Entscheidung für das Rad war schnell getroffen.

Wegen der zu erwartenden Hitze fuhr ich ganz gemütlich. Der Berufs-Radverkehr war größtenteils schon durch, aber die ersten Radtouristen waren bereits auf dem Weg. Allerdings begegneten mir kaum Kolonnen, nur einzelne Fahrer oder Paare, fast alle wirkten froh und entspannt, und niemand behinderte den anderen.

An der Baustelle der Waldschlösschenbrücke machte ich ein Foto. Während ich dort stand und mit dem Auslöser beschäftigt war, rief mir einer im Vorbeifahren zu, dass ich mich schämen sollte, dieses hässliche Ding auch noch zu fotografieren. Er war viel zu schnell weg, als dass ich ihm hätte antworten können.

Hallo? Wo steht geschrieben, dass man nur Schönes fotografieren darf? Ich habe gegen diese Brücke gestimmt und sehe keinen Grund, mich zu schämen. Die Brückenbefürworter werden sich ihrer Entscheidung wohl auch nicht schämen. Die Autofahrerlobby hat sich durchgesetzt, das Ding wird gebaut. Ob hässlich oder nicht, die entstehende Brücke gehört bereits zum Stadtbild. Für mich ist sie Ausdruck von Ambivalenz, ein Gegenstück zur anmutig strahlenden Frauenkirche, die mir oft vorkommt, als könnte sie sich auflösen wie Zuckerguss.

Als ich die Elbschlösser fotografierte, sah ich durchweg freundliche Blicke auf mich gerichtet. Wahrscheinlich ist das typisch sächsisch: erst so ein Ding verzapfen und es dann nicht wahrhaben wollen.

Ich fuhr weiter und dachte nicht länger über das Erlebnis nach, was mir relativ leicht fiel, da ich auf dem Rad sehr bald friedlich wurde. Statt dessen reflektierte ich die Lektüre vom Vorabend: „Radfahren“, ein Büchlein von Michael Klonovsky. Dass sich etliche Leute schreibend über das Radfahren auslassen, hatte ich bisher noch nicht gewusst.

In Laubegast saßen die ersten Gäste auf der Terrasse eines Cafés. Eine Reihe von Schwänen überquerte die Elbe. Angenehm frisch war es in Flussnähe, und auf einmal fühlte ich mich an Ferien an der Ostsee erinnert. Sommer und der Geruch des Wassers, Urlaubsstimmung – und ich war doch faktisch noch zuhause. Da war es abgestreift, das Pflichtenkorsett, und dieses Gefühl war wunderbar.

Froh und leichten Mutes radelte ich an Kleinzschachwitz vorbei, fotografierte die Kirche „Maria am Wasser“ in Hosterwitz, genoss den Blick zum Pillnitzer Schloss auf der anderen Elbseite, und zwischen Zschieren und Heidenau, wo man die Stadt wirklich hinter sich lässt, gefiel es mir so gut, dass ich mich am liebsten am ruhigen, vom Weg etwas abgelegenen Ufer niedergelassen hätte. Aber dann sah ich schon die Häuser auf dem Sonnenstein vor mir auftauchen: Pirna war in Sichtweite und bald darauf erreicht. Am Elbeparkplatz bog ich ab und wandte mich Richtung Altstadt. Ich landete in der Fußgängerzone und stieg vom Rad. Die Altstadt von Pirna ist sehr schön, und mir fiel ein, wie lange ich mir schon einen Bummel dort vorgenommen habe. Aber auch dieses Mal wurde nichts daraus; ich wollte mittags wieder zuhause sein.

Außerhalb der Fußgängerzone ist die Stadt vom Verkehr verstopft; ich sah zu, dass ich mein Ziel erreichte. Ich musste ein bisschen suchen, um die Einfahrt zum Baumarkt zu finden, aber schließlich entdeckte ich sogar einen Fahrradständer, wo ich mein Rad lassen konnte. Den gewünschten Geschenkgutschein hatte ich schnell erworben und konnte den Heimweg antreten. Dieses Mal fand ich eine kürzere Fahrstrecke hinunter zur Elbe.

Es war nun heiß und windig, und der Wind wehte mir entgegen. Während ich dagegen an strampelte, dachte ich immer wieder über das Buch von Michael Klonovsky nach. Der Autor ist seiner Selbstauskünfte nach ein Hedonist durch und durch. Seine Auffassungen teile ich stellenweise, öfter bin ich geneigt, ihm zu widersprechen. Es wäre ja schlimm, wenn sich sämtliche Radfahrer in ihren Beweggründen und ihrem Fahrverhalten gleichen würden. Sein Schreibstil gefällt mir sehr gut; er ist amüsant, selbstironisch und ein wenig provokativ, auch eine gewisse Bescheidenheit oder eher die Fähigkeit, sich selbst wieder herunterzuholen, sprechen für das Buch und den Verfasser. Als Reiselektüre taugt das Büchlein nur dann, wenn man wenig Zeit zum Lesen aufbringen möchte: es ist einfach zu mitreißend und zu kurzweilig, als dass man sich tagelang darin vergraben oder gar verlieren könnte.

Als ich wieder nach Dresden hinein fuhr, freute ich mich auf zuhause und hatte kein Bedürfnis, mich länger auszupowern, was gewiss der Temperatur geschuldet war: das Thermometer zeigte 28 Grad im Schatten an. Es sollte noch auf 31 Grad steigen – ich hoffe, keiner der Radtouristen ist unterwegs aus dem Sattel gekippt.

Fotos

Sonntag, 30. Mai 2010

29.5.2010 Neusörnewitz – Meißen – Lommatzsch – Oschatz – Riesa – Meißen – Dresden

Am Pfingstsonnabend bin ich noch im Großenhainer Land geradelt, und am Pfingstmontag wurde dieses Gebiet von einer Naturkatastrophe heimgesucht. Mir geht das sehr nahe, verbinde ich doch mit diesen Städten und Ortschaften ganz aktuelle persönliche Eindrücke. Es sind nicht mehr nur Flecken auf der Landkarte, sondern ein Stück Heimat. Diese Heimat zu erkunden, ist ein Ziel meiner Touren, und ich fühle mich den Gegenden, die ich erlebt und gesehen habe, dauerhaft verbunden.

Für diesen Sonnabend hatte ich mir vorgenommen, einen Teil der Lommatzscher Pflege zu durchfahren, denn die Gegend interessiert mich schon lange. Um die Strecke ein wenig abzukürzen, wollte ich die S-Bahn bis Meißen nehmen. Gegen 6.00 Uhr brach ich von zuhause auf. Gerade noch rechtzeitig fiel mir ein, dass ich mein beladenes Tourenrad nicht die Treppen am Meißner Bahnhof hinuntertragen wollte, und deshalb stieg ich eine Station eher in Neusörnewitz aus, wo sich der Bahnsteig zu ebener Erde befindet. Von dort ist es noch ein Stück bis zur Elbe, aber ich kenne den Weg.

Das Elbtal war in Frühnebel gehüllt. Den Radweg kann man wegen der Hinweisschilder kaum verfehlen, aber von der Elbe war zunächst nichts zu sehen. Zwei Radfahrer waren mit Rennrädern Richtung Meißen unterwegs. Auf einmal konnte ich milchig und silbern den Fluss neben mir erkennen. Einige Minuten später wurde es klar. Kurz vor Meißen hörte ich die Glocken Sieben schlagen. Ich überquerte die Elbbrücke und fuhr noch ein Stück in nordwestlicher Richtung. Die Straße an der Altstadt vorbei nach Niederjahna, welche ich nehmen wollte, war wegen Bauarbeiten gesperrt. Es wäre naheliegend gewesen, weiter auf dem Elberadweg zu fahren und dann von Riesa aus nach Oschatz abzubiegen, aber ich hatte mir in den Kopf gesetzt, ein paar linkselbische Dörfer kennenzulernen und war so schnell nicht bereit, von diesem Vorhaben abzusehen. Man kann auch mit einer der Fähren zwischen Meißen und Diesbar ans andere Ufer übersetzen, aber die fahren am Wochenende nicht zu so früher Stunde. Die Karte zeigte mir eine Alternativroute: ich fuhr noch ein Stück die Leipziger Straße entlang und dann über Gasern nach Niederjahna. Es ging zunächst steil bergauf, und ich musste ein Stück schieben. Auf der Höhe angekommen, sah ich zurückblickend die Spitzen der Meißner Domtürme über den Hügel ragen. Der Himmel sah trüb und ein wenig gewittrig aus.

Kurz vor Niederjahna musste ich ein Stück Schnellstraße fahren. Zum Glück waren es nur wenige Meter bis zum Ortseingangsschild. Richtung Lommatzsch sollte man nicht, wie ich es zunächst versucht habe, nach Oberjahna abbiegen, sondern weiter geradeaus fahren. Es ging über sehr ruhige, wenig befahrene Landstraßen nach Neumohlis und Pröda, wo ich mich entschied, nach links Richtung Kleinkagen abzubiegen, weil mir die Straße sympathischer aussah. Aber auch rechts herum hätte ich nach Lommatzsch fahren können. Die Dörfer, die ich durchquerte, waren klein, hübsch – noch nicht kaputtmodernisiert wie anderswo -, mit vielen alten Höfen und Fachwerkhäusern, und an den meisten wurde gebaut. Die Lommatzscher Pflege gilt als Kornkammer Sachsens, und man sieht viele Landwirtschaftsbetriebe, Felder, Hügel und idyllische Täler. Ich benutzte die ADFC-Radtourenkarte „Lausitz, Östliches Erzgebirge“, auf der für Radler geeignete Strecken farbig markiert sind. Gerade bei dieser Tour bin ich aber öfter von den Radwegen abgewichen; viele Landstraßen sind durchaus für Radler gut geeignet und außerdem auch gut beschildert. An Wegmarkierungen hapert es links der Elbe, soweit ich es erlebt habe. In Mohlis traf ich auf den Elbe-Mulde-Radweg und fuhr ihn ein Stück bis Mertitz. Diesen Weg weiter nach Westen zu fahren, würde mich auch sehr reizen.

Über Daubnitz gelangte ich nach Lommatzsch. Ich machte zunächst ein Foto von der markanten Kirche St. Wenzel und rastete dann auf einer Bank. Es war neun Uhr. Sämtliche Straßen Richtung Döbeln waren gesperrt, aber das betraf mich ausnahmsweise einmal nicht – ich fuhr weiter geradeaus Richtung Riesa. In Scheerau biegt der Radweg nach rechts, aber ich nahm ihn nicht, fuhr weiter und kürzte dadurch ein gutes Stück ab.

Zu Beginn einer Radtour denke ich oft noch an den Alltag und beschäftige mich mit der Strecke, die vor mir liegt. In der Mitte der Tour aber genieße ich nur noch das Unterwegssein, und das ist meist der schönste Teil der Fahrt. Radfahren hat dann etwas Meditatives, und man hat das Gefühl, noch ewig weiter zu können.

Ein nicht beschilderter Weg, der aussah, als würde er in die gewünschte Richtung führen, brachte mich nach Striegnitz. Von Trogen aus gelangte ich über einen Feldweg voller Pfützen nach Gleina. Über Strauchitz ging es weiter nach Hof. Dort musste ich die Radwanderkarte „Saale, Westliches Erzgebirge“ zur Hand nehmen. Ich durchquerte Hof, fuhr weiter Richtung Raitzen und gelangte bald auf eine gut markierte Strecke nach Oschatz. Diese als Radweg gekennzeichnete Straße wurde aber bald zur Schnellstraße, auf der ich sehr ungern fuhr. Ein separater Radweg führt am Windberg vorbei; ich fuhr ihn auf gut Glück entlang. Leider endete er abrupt, und ich musste mit dem Rad eine Böschung hinunter. Auf der linken Fahrbahnseite gibt es auch einen Radweg, der laut Karte bis nach Oschatz führt. Das bemerkte ich aber erst zuhause.

Ich gelangte wieder auf die Schnellstraße und fuhr weiter bis nach Oschatz hinein, wo es glücklicherweise einen Radweg neben der Fahrbahn gab. Ich überquerte die B 6, wandte mich Richtung Zentrum und machte ein Foto von St. Aegidien. Es war dreiviertel elf. Da in Oschatz viel Verkehr war, vermied ich es, bis ins Zentrum vorzudringen, zumal meine geplante Strecke nach Nordosten aus der Stadt führte. Voller Freude und Erleichterung entdeckte ich den Radweg nach Mannschatz, aber am Ende des Ortes folgte die Enttäuschung: dort, wo es über Felder hinweg weiter gehen sollte, war der Weg gesperrt. Der Sandweg verhieß nach all den Regentagen ohnehin nichts Gutes. Ich blieb also auf der Landstraße Richtung Kleinragwitz und bog kurz vor dem Ort nach links Richtung Borna ab. Gleich nachdem ich den Bahndamm (Strecke Leipzig/Dresden) unterquert hatte, entschied ich mich, wiederum nicht den Radweg bei Borna anzusteuern, sondern nach Bornitz abzubiegen, wo ein Hinweisschild mit „Riesa 8 km“ lockte. Die parallel zum Bahndamm verlaufende Landstraße ist die kürzeste Verbindung nach Riesa. Trotz ihres stellenweise schlechten Zustandes war sie aber recht befahren. Umso mehr freute ich mich, als es dann einen Radweg neben der Straße gab. Als ich auf Riesa zu fuhr, sah ich einen ICE vorbeifahren. Wenn ich wieder einmal mit dem Zug dort unterwegs bin, werde ich an diese Radtour denken. Nun konnte ich eine Pause gebrauchen, aber es gab keinen geeigneten Rastplatz, und deshalb fuhr ich weiter.

Riesa ist eine größere, ausgedehnte Stadt. In der Annahme, dass der Hafenbrücke auch eine „richtige“ Brücke folgen würde, überquerte ich sie, fuhr weiter gerade aus und wandte mich dorthin, wo ich die Brücke vermutete. Nach kurzem Herumirren zwischen Industriebetrieben, fragte ich einen älteren, ortsansässig aussehenden Radfahrer nach dem Weg. Er erklärte mir, dass ich noch ein Stück über die B 182 bis zur Elbbrücke fahren müsse, und zwar nicht nach Strehla, sondern in die entgegengesetzte Richtung, was mir einleuchtete. Man muss unter der Eisenbahnbrücke hindurch fahren, sich gleich nach rechts wenden, wo schon ein Schild auf den Elberadweg hinweist. Am Bahnhof vorbei geht es über die Elbbrücke. Glücklich und zufrieden fuhr ich über die Elbe und auf den Elberadweg. Ich finde es günstig, bei längeren Touren unbekannte und bekannte Strecken zu kombinieren. Nun lag der leichtere und vertraute Teil der Tour vor mir. Auf einer schon bekannten Bank bei Moritz machte ich Rast. Es war 12.30 Uhr. Ich ließ die bisherige Strecke Revue passieren und verspürte ein großes Glücksgefühl.

Als ich weiter fuhr, begegneten mir immer wieder Kolonnen von Radfahrern. Die Elbwiesen sind dort weit und stellenweise sumpfig; immer wieder hörte ich Frösche quaken. Dann sah ich die Schornsteine des Chemiewerks Nünchritz.

Im Laufe des Tages war es schwül geworden, und allmählich ließ meine Kondition nach. Ich hatte die Möglichkeit, in Meißen oder besser Neusörnewitz die S-Bahn zu nehmen, war mir aber ziemlich sicher, mit dem Rad bis nach Dresden fahren zu können. In Diesbar machte ich wieder eine kurze Pause und nahm mir vor, von da an öfter zu rasten. Dieser Plan ging nicht ganz auf. Viele Leute waren auf dem Elberadweg unterwegs, und einige von ihnen wollte ich nicht zweimal vor mir haben. So musste ich öfter überholen, als es mir lieb war. In Meißen wollte ich etwas länger halten, aber herannahende Skater ließen mich früher als geplant wieder aufs Rad steigen. Und um Radebeul herum waren besonders viele Sonntagsfahrer und –Fahrerrinnen unterwegs.

Gegen 15.45 Uhr war ich zu Hause. Insgesamt müssen es an die 115-120 Kilometer gewesen sein, und viel länger hätte ich nicht fahren mögen. Eine interessante Strecke war es gewesen, die mir weitere Radwanderrouten eröffnet hat und über die ich mich auch rückblickend sehr freue. Der Sonntag war mir nun als Ruhetag sehr willkommen.

Hügelland bei Niederjahna, Meißner Domtürme

Sonntag, 23. Mai 2010

22.05.2010 Dresden – Moritzburg – Großenhain – Nünchritz und zurück

In den vergangenen Wochen hatte sich soviel Bewegungsdrang in mir angestaut, dass ich nun, da die Wetterprognosen einigermaßen waren, unbedingt aufs Rad wollte.
Ich musste mich etwas überwinden, den Wecker am Pfingstsonnabend auf 5.00 Uhr zu stellen, aber es sollte sich zeigen, dass ich keineswegs zu früh aufgestanden war – draußen war es schon taghell, und es sah nach schönem Wetter aus. Kurz vor halb sieben brach ich auf. Am liebsten hätte ich eine Heidetour gemacht, aber nach dem Regenwetter der letzten Zeit wäre das ein schlechter Plan gewesen.

Ich fuhr wie gewöhnlich, wenn es mit dem Rad nach Moritzburg geht, Richtung Heidefriedhof aus der Stadt. Und wie immer schob ich mein Rad den Boxdorfer Berg hinauf, staunte aber nicht schlecht, weil ich ohne Pause und ohne aus der Puste zu kommen bis nach Boxdorf gelangte. Das sah nach guter Tagesform aus, und die konnte ich gebrauchen, hatte ich mir doch eine schöne Strecke vorgenommen. Ich fuhr die Schlossallee entlang nach Moritzburg; es war noch ruhig auf dieser sonst vielbefahrenen Straße. Natürlich hatte ich auch Bedenken, was mein Vorhaben anging, zweifelte daran, ob ich mit einem gerade halbwegs verheiltem Fuß eine Tagestour würde machen können, zumal ich sechs Wochen, von etwas geruhsamem Yoga abgesehen, keinen Sport getrieben hatte. Aber ich hielt es einfach nicht länger aus, ich wollte Sonne, Natur und die sportliche Herausforderung. Längere Touren fahre ich allein; ich brauche diese Auszeiten.

Während ich fuhr, stieg in der Richtung, welche ich nehmen wollte, ein silberner Ballon in den Himmel. Dieser Anblick fühlte sich an wie eine Ermutigung, Träume fliegen zu lassen.

Ganz still und friedlich war es in Moritzburg, diesem beliebten Ziel von Wochenendausflüglern und Touristen, und ich wusste, dass es gut gewesen war, die Strecke in genau dieser Reihenfolge zu planen. Ich fuhr am Schloss vorbei und bog dann in den Waldweg ein, der am Sophienteich vorbei zu den Altenteichen führt. Am Sophienteich machte ich eine kurze Pause. Als ich dort stand und auf die blauen, sich kräuselnden Wellen sah, den Vögeln lauschte und in den Himmel blickte, erlebte ich schon alles, was ich mir für dieses Wochenende gewünscht hatte. Kein Graureiher war zu sehen, aber kurz bevor ich aufbrach, flog einer hoch in der Luft über mich hinweg.

Weiter ging es zu den Altenteichen. Ich freute mich, ein schönes Stück durch den Wald fahren zu können, und dieser Weg ist in einem sehr guten Zustand. Dennoch sollte man sich nicht darüber hinwegtäuschen, dass längeres Fahren auf durchnässtem Boden ziemlich anstrengen kann. Kurz vor der Klinik Heidehof bog ich Richtung Steinbach ab. Der ausgeschilderte Weg zum Köckritzteich war voller Pfützen. Er führt zwischen Köckritzteich und dem kleineren Silberteich entlang. Dort weideten Kühe direkt am Teichufer, und manche standen so dicht am Weg, dass ich sie beinahe hätte berühren können. Der Rundweg fährt sich bei anhaltend schönem Wetter sicher sehr gut. Ich musste ein paar Mal vom Rad absteigen, um nicht ein unfreiwilliges Schlammbad zu nehmen, kam aber wohlbehalten in Steinbach an. Nun wünschte ich mir eine gut befahrbare Straße, und da war sie auch. Ich wollte weiter über Lauterbach – Beiersdorf nach Großenhain fahren, doch in Lauterbach wurde gebaut. Die ausgeschilderte Umleitung über Ebersbach wollte ich nicht fahren und versuchte, an der Baustelle vorbei zu kommen. Obwohl am Wochenende dort niemand baut und man gut einen Pfad für Fußgänger und Radfahrer hätte freilassen können, war absolut kein Durchkommen – dieser Zugang zum Ort glich einer Festungsmauer. Hätte ich, wie zunächst beschlossen, Lauterbach in westlicher Richtung umfahren, hätte ich wohl ein paar Kilometer eingespart, aber aus Sorge, mich zu verfahren, nahm ich doch die ausgeschilderte Umleitung.

Ich hörte auf, mich über deutsche Gründlichkeit und damit verbundene Vollsperrungen zu ärgern und ärgerte mich stattdessen über den Umweg, der mich zu weit nordöstlich brachte. Insgesamt waren es an die zehn Kilometer, die ich zusätzlich zur geplanten Route durch die Gegend fuhr. Vorbei ging es an leuchtenden Rapsfeldern; der blaue Himmel hatte sich etwas eingetrübt. Ebersbach ist ein langgezogener, hübscher Ort mit schönen Bauernhäusern und Höfen, und dort angekommen, freundete ich mich mit den zusätzlich gewonnenen Eindrücken an. Dann endlich führte der Weg wieder nach links Richtung Lauterbach. In Hohndorf machte ich eine Pause, denn ich hatte mir vorgenommen, die Fahrt öfter zu unterbrechen und regelmäßig zu trinken und zu essen. Ich achtete auch darauf, mindestens zehn Minuten sitzen zu bleiben. Außerdem gab ich mein Wunschvorhaben auf, bis Zabeltitz zu fahren, das wäre auch ohne Umweg schon recht weit gewesen. Ich wollte mich fordern, aber nicht schinden.

Weiter ging es vorbei an Nauleis nach Dallwitz. Dort sah ich ein schönes, an einem Flüsschen gelegenes Grundstück mit einem längst verlassenen und verfallenen Haus, das mir sehr gut gefiel und mich ein bisschen sentimental stimmte. Dahinter erstreckte sich eine Wiese, und mitten auf der Wiese saß ein Hase. Ich hielt an, versuchte, mich an ihn heranzupirschen, um ihn zu fotografieren, aber er bemerkte mich und hoppelte davon.

Ein paar Meter weiter lag das winzige Dorf Lenz, nur aus wenigen Häusern bestehend, und ich fand es wunderhübsch. Weitgehend in Ordnung und gepflegt, war es nicht, wie vielerorts üblich, in eine Baumarktprospekt-Fertighaussiedlung verwandelt worden, man hatte den ursprünglichen Charakter bewahrt. Die Straße endete dort, und ich fuhr den daran anschließenden, relativ gut befestigten Weg weiter. Die Markierung zeigte siebeneinhalb Kilometer bis Großenhain an, und das war eine wirklich gute Nachricht. Der Himmel sah graublau aus, als ob es gegen Abend Gewitter geben würde, es war warm und freundlich, und ich hatte nur leichten Gegenwind. Der Weg war ganz gut zu fahren, er führte am Fuchsberg vorbei. Weiter vorn war ein Kirchturm zu sehen: das musste Großenhain sein. Die Strecke war bislang so ruhig gewesen, dass man kaum daran dachte, an einem verlängerten Wochenende unterwegs zu sein: nur wenige Radfahrer und Autofahrer waren mir unterwegs begegnet.

Das Zentrum von Großenhain war gut zu finden. Halb elf kam ich dort an und sah mich kurz um, ehe ich wieder auf die Karte schaute. Ich war bereits zu weit gefahren: unterhalb der Großen Röder hätte ich links abbiegen müssen – wenn mich Großenhain weniger interessiert hätte. Ein schöner Radweg führt ein Stück an der Röder entlang. Man überquert den Fluss zweimal und befindet sich schließlich auf einer befahrenen Straße, die in der einen Richtung nach Meißen, in der anderen nach Zabeltitz führt. Für Radfahrer ist sie jedoch nicht zu empfehlen. Ich wandte mich nach Nordenwesten Richtung Kleinraschütz/Großraschütz. An Feldern vorbei, über denen immer wieder Raubvögel kreisten, ging es nach Skassa und von dort nach Weißig. Hinter Weißig angekommen, sah ich vor mir das Chemiewerk Nünchritz, und als ich darauf zufuhr, sah ich rechter Hand Riesa liegen. Radwege führen dort an neugebauten Schnellstraßen entlang; die Strecke ist gut beschildert und es gibt in regelmäßigen Abständen Stellen mit Verkehrsinseln, wo man die Straße überqueren kann. Ich fuhr um das Chemiewerk herum und gelangte so auf den Radweg, der daran vorbei führt. Bei Leckwitz fuhr ich auf den Elberadweg und machte erst einmal Pause. Es war kurz nach zwölf Uhr. Ich freute mich über die Schönheit des Elbtals, das zwischen Meißen und Riesa besonders idyllisch ist, und über den bekannten und mit Sicherheit gut zu bewältigenden Rest der Strecke.

Während die Tour bis dahin über Wege oder nur wenig befahrene Straßen geführt hatte, geriet ich nun in den Feiertagsausflugsverkehr. Radfahrerkolonnen, Wanderer, radelnde Familien mit Kindern jeden Alters waren unterwegs. Das Grün der Wiesen und Elbhänge war so frisch und intensiv wie meist um diese Jahreszeit. Man kann von solchen Bildern und Erinnerungen lange Zeit zehren. Die Natur kann so viel Freude geben, dass sich alle Sorgen, Ängste, alles Belastende gleichsam darin auflösen.

In Diesbar-Seußlitz hielt gerade ein Dampfer, Restaurants und Cafés waren gut besucht. Diesen bei Ausflüglern beliebten Ort habe ich so bevölkert noch nicht erlebt – meist fahre ich in den frühen Morgenstunden dort entlang, wenn es noch ruhig ist.

Aber noch hielt sich der Verkehr in Grenzen. Es ist ja auch schön, zu erleben, wie gern sich all die Leute unter freiem Himmel bewegen und wie sehr sie den Aufenthalt an der Elbe genießen. Immer wieder sah ich Familien, die es sich im Gras und auf Rastplätzen gemütlich gemacht hatten. Bald war ich in Meißen, wo ich noch einmal Pause machte. Zwischen Meißen und Radebeul musste ich doch einige Sonntagsfahrer überholen; manche radeln so langsam, dass man einfach nicht hinter ihnen bleiben kann. Insgesamt habe ich aber versucht, mich nicht zu sehr anzutreiben, viel zu schalten, dadurch Kräfte zu sparen und auch die Landschaft zu genießen, was mir bei vergangenen Touren nicht immer gelungen ist.

Gegen 14.45 war ich zuhause, gut ausgearbeitet, aber nicht restlos k.o. Sicherheitshalber hatte ich Sportbandagen mitgenommen, aber keine davon benötigt. Als ich die Strecke anhand der Karte noch einmal durchging, glaubte ich es kaum: um die 100 Kilometer war ich unterwegs gewesen. Angefühlt hatte es sich wie 70 bis 80 Kilometer, zu einem guten Teil der abwechslungsreichen Strecke wegen, aber sicher auch, weil ich mir mehr Zeit gelassen hatte.

Mein Vorderrad-Packtäschchen hat sich als sehr praktisch, robust und nützlich erwiesen: Dinge, die weniger schwer sind, aber häufiger benötigt werden, können schnell entnommen und wieder hineingeworfen werden. Mit dem Kauf der zweiten Tasche werde ich wohl nicht mehr lange warten.

Fotos

Donnerstag, 13. Mai 2010

Vorfreude


Der Start in die Fahrradsaison verlief nicht nach meinen Wünschen. Die erste größere Tour vorzeitig abgebrochen, danach Zwangspause wegen einer Verletzung beim Wandern – und ganz nebenbei habe ich auch einen Dance-Aerobic-Kurs in den Sand gesetzt: finanziell und in Sachen Fitness derzeit nur Minuspunkte. Gute Vorsätze sind gestrichen oder vielmehr modifiziert. Die nächste Tour – sie kommt bestimmt! werde ich behutsam angehen.

Mein Tourenrad hat die zweite Durchsicht hinter sich, und ich habe die Gelegenheit genutzt, es wieder etwas verbessern zu lassen. Der Trekkinglenker war beim letzten Mal angebaut worden, nun musste es eine Vorrichtung zum Anbringen von Vorderradtaschen sein. Als ich mich danach erkundigte, wurde ich gefragt, ob ich auf Weltreise gehen möchte, aber so weit sind wir noch nicht.

Vorderradtaschen sind mir für Mehrtagestouren empfohlen worden. Und: es sollte etwas Stabiles, etwas Gutes sein. Ich bin skeptisch gegenüber Behauptungen, nur Teures sei gut, andererseits wollte ich einen Fehlkauf vermeiden und entschied mich für jene von der Werkstatt empfohlene Tasche, eher ein Täschchen, wie man sieht. Später, vielleicht zum Geburtstag, leiste ich mir dann eine zweite. Für den Gepäckträger tut es erst einmal die doppelte Taschenkonstruktion, die ich auch zum Einkaufen verwende, kein Renommierobjekt, nicht vollständig wasserdicht, aber praktisch und kompakt. Wenn ich eines Tages keinen Großfamilien-Einkauf mehr tätigen muss, kann ich über das teure Äquivalent aus dem Fachgeschäft nachdenken.

Nun, da das Fahrrad geputzt und aufgerüstet bereit steht, kann ich es kaum erwarten, wieder damit zu fahren und mich ein bisschen zu fordern. Ich hoffe, die nächsten Monate halten noch ein paar schöne Tage bereit.

Dienstag, 6. April 2010

06.04.10 Dresden – Wehlen – Pillnitz – Schönfelder Hochland – Bühlau

Nach dem langen Winter hatte ich drei Eingewöhnungsstrecken hinter mir: nach Meißen und zurück, (normalerweise eher eine Spazierfahrt, war doch nach längerer Pause etwas anstrengend), beim nächsten Mal Diesbar und zurück; schließlich rund um Moritzburg.

Nun wollte ich etwas weiter fahren und vor allem eine neue Strecke ausprobieren. Meine Wahl fiel auf eine Tour, die in dem Büchlein „Die schönsten Radtouren rund um Dresden“ empfohlen wird.

Bis zum Bahnhof Pirna mit der S-Bahn zu fahren, hielt ich für lächerlich und begann wie gewöhnlich vor der Haustür mit meiner Tour. Die Temperatur – nur wenig über Null – machte einen Zwiebellook samt Stirnband und Handschuhen erforderlich. An der Elbe angekommen, fiel mir die Kälte auf, die in Flussnähe herrschte. Ich hätte kein Teil weniger anhaben dürfen.

Nach Pirna zu fahren, bedeutete eine Stadtdurchfahrt Richtung Osten. Diese wünschte ich mir, wollte ich doch die im Bau befindliche Waldschlösschenbrücke sehen. Zum Glück war es noch relativ ruhig auf dem Elberadweg – ein Vorteil, wenn man früh aufbricht. Langsam schob sich die Sonne über die Häuserdächer, aber es sollte noch eine Weile dauern, bis man sie spürte. Ich überquerte die Carolabrücke, um ans andere Ufer zu gelangen. Dort gibt es einen Radweg, was sehr angenehm ist - nicht jede Dresdner Brücke hat einen. Eine Abfahrt zur Elbe gibt es jedoch nicht. Als ich sah, wie ein Ordnungshüter einen Radfahrer vor mir zur Seite winkte, steuerte ich die nächste Ampel an, um die Straßenseite zu wechseln. Ich wollte nicht riskieren, wegen was auch immer vollgequatscht zu werden. Auf der anderen Straßenseite angekommen, gelangte ich leicht und schnell hinunter Richtung Elbe.

Von Johannstadt aus sieht man den Brückenbogen liegen. Gnadenlos wird der Bau vorangetrieben; mit stumpfsinniger Konsequenz wird das Elbtal verschandelt.

Ich hatte leichten Gegenwind, kaum an Bäumen und Gräsern zu sehen, aber doch spürbar und eisig. Von Kleinzschachwitz aus kann man das Pillnitzer Schloss sehen, ein Dampfer fuhr gerade vorbei. Der Raureif auf den Elbwiesen fing an zu tauen. Dreiviertel neun war ich in Pirna und machte eine kurze Pause, um mich noch einmal mit der Tour vertraut zu machen. Es war angedacht, die Elbe zu überqueren. Aber ich wollte noch nicht zurück; es reizte mich, weiter Richtung Wehlen zu fahren. Der Abschnitt zwischen Pirna und Wehlen ist besonders schön. Und weil ich genügend Möglichkeiten sah, die beschriebene Route abzukürzen, fuhr ich nach Wehlen, kam kurz vor halb zehn dort am Bahnhof an und fand, nun sei es Zeit zum Umkehren. Mit dem Wind(chen) im Rücken fuhr es sich schneller und leichter, und bald war ich wieder in Pirna, wo ich Handschuhe, Stirnband und meine zweite Jacke ablegen konnte und über die alte – nicht neue - Elbbrücke fuhr.

Von dort aus ging es die Uferstraße entlang Richtung Pratzschwitz. Diese Straße führt direkt zu Autobahnauf- und Abfahrten und ist deshalb mit Vorsicht zu befahren. Auf dem Tourenbüchlein ist eine Familie mit Kindern abgebildet – ich dachte in jenem Moment, dass Kinder auf diesem Streckenabschnitt nicht gut aufgehoben sind. Später sollte sich herausstellen, dass die Tour für Kinder eher ungeeignet ist. Hinter der Abfahrt von der A 17 wurde die Straße jedoch schmaler und ruhiger. Pratzschwitz ist ein hübsches Dorf, und die Strecke Richtung Pillnitz ist gut ausgeschildert. An einer Kiesgrube vorbei führt ein Radweg, Bänke laden zum Verweilen ein. Hier legte ich die Kniebandage (besser rechtzeitig als zu spät) an und dachte mir: das wird also eine richtig fordernde Tour. Aber schon kurz vor Pillnitz wurde das Fahren unangenehm, und ich begann mich zu ärgern.

Hatte ich mir zu viel vorgenommen? Ich dachte an die Touren am Ende des vergangen Jahres und wollte es nicht glauben. In Pillnitz fuhr ich durch den Schlosspark, ohne dass mich jemand daran hinderte – ich war auch nicht die einzige Radfahrerin, die dort unterwegs war. Erst am Ausgang sah ich, dass das Radfahren im Park nicht gestattet ist. Im Ortszentrum, hinter der Sparkasse, sollte die Straße Richtung Borsberg abzweigen. Ich fand sie zwar, aber hinauffahren konnte ich, von wenigen Stellen abgesehen, nicht. Das übertraf den Anstieg des Boxdorfer Berges, den ich nie hinauf fahre, bei weitem. Ich hatte zu tun, mein Fahrrad überhaupt hochzuschieben. Mit dem Rennrad wäre es vielleicht besser gegangen als mit dem relativ schweren Tourenrad, aber nie hätte ich dort pausenlos hinauf fahren können. Kinder dort mit hoch zu nehmen stelle ich mir schwierig bis unmöglich vor. Die Karte im Tourenbüchlein taugt auch nur bedingt zur Orientierung; mit der Wanderkarte „Dresdner Elbhang“ war ich in Zweifelsfällen besser beraten. Wieder auf dem Rad, durchquerte ich das Dorf Borsberg und fand am Ende des Ortes ein Fleckchen zum Rasten. Ich befand mich kurz vor Zaschendorf, wo die Straße abzweigen sollte, und war ziemlich erledigt. Es war viertel Zwölf und die Sonne schien recht warm. Bisher hatte ich zu wenig getrunken, also holte ich das nach. Diesen Fehler begehe ich immer wieder, mache wohl auch zu wenig Pausen. Ich zwang mir ein Brötchen rein, denn es war höchste Zeit, etwas zu essen.

Die Pause machte sich bemerkbar, das letzte Stück des Anstiegs war ganz gut zu bewältigen. Ich fand die Straße mit Namen Talblick, die nach Reitzendorf und weiter nach Schönfeld führt. Von Bühlau aus hatten wir mit der Schule regelmäßig Exkursionen ins Hochland unternommen (damals war es noch üblich gewesen, den Geldbeutel der Eltern zu schonen), aber noch nie war ich am Schloss Schönfeld gewesen. Ich hielt mich aber nicht lange auf – das Knie machte mir wieder zu schaffen, und ich fuhr weiter Richtung Cunnersdorf/Gönnsdorf. Von Gönnsdorf aus kannte ich die Strecke; es ging vorbei an meiner alten Schule, die teilweise abgerissen wurde und zu einem Gymnasium umgebaut wird.

Von Bühlau aus sollte man die Heide durchqueren, aber ich gab den Plan auf und fuhr ein paar Stationen mit der Straßenbahn Linie 11. Die Wege in der Heide kenne ich, und ich hatte keine Lust, dort schlapp zu machen, zumal wir Ende der Woche eine Wanderung ins Erzgebirge geplant haben, bei der ich gern dabei sein wollte. Die letzten fünf Kilometer bis nach Hause waren beschwerlich genug.

Zuhause – viertel zwei war ich angekommen - fiel mir ein, dass ich im letzten Frühjahr schon in Pirna Probleme mit dem Knie bekommen hatte; da war ich dieses Mal noch ganz gut dran. Mit zunehmendem Training hatte ich aber keine Schwierigkeiten mehr. Als ich die Strecke noch einmal durchging, stellte ich fest, dass ich doch ganz zufrieden sein konnte: 62 Kilometer, teilweise mit Höhenunterschieden, waren akzeptabel; ich freute mich, den neuen Streckenabschnitt kennengelernt zu haben, und über die Fahrt an sich.

Wichtig ist doch, dass man sich auf den Weg macht.