Sonntag, 16. Juni 2013

Rund um die Müritz – 85 km

Vorab: ich empfehle, dies nicht zu tun. Wir haben die Müritz, den größten Binnensee Deutschlands, an einem Tag umrundet. Reichlich fünfeinhalb Stunden reine Fahrzeit haben wir dazu benötigt. Natürlich ist dies möglich. Möglich sind noch sehr viel weitere Strecken innerhalb eines Tages, bei entsprechendem Training. Wer irgend kann, sollte für die Müritz, sollte für die Seenplatte, für Mecklenburg viel Zeit mitbringen. Man sollte jeden Ausblick, jedes Stückchen Landschaft, jeden Ort hier mit so viel Zeit wie nur möglich erkunden. Wir hatten eine solche Tour nicht vorgehabt, waren eigentlich auch nicht darauf vorbereitet. Geplant hatten wir eine mehrtägige Radtour von Neubrandenburg aus durch Mecklenburg, Brandenburg, Sachsen-Anhalt, wieder Brandenburg und zurück nach Dresden. Das Hochwasser ließ uns unsere Pläne kurzfristig ändern: wir reisten von der Ostseeküste aus für drei Tage an die Müritz. Unsere Fahrräder blieben zuhause. Statt dessen haben wir Fahrräder gemietet. Eigentlich wollten wir gestern das östliche Ufer der Müritz abfahren, aber die Adler-Safari im Müritz-Nationalpark konnten wir uns nicht entgehen lassen. Ja, wir hatten Glück und haben sowohl Seeadler als auch Fischadler beobachten können – etwas, womit wir nicht gerechnet hatten, als wir hier anreisten. Diese geführte Wanderung dauerte ihre Zeit - wie alle guten Dinge. Für die Tour am See entlang wurde es etwas knapp. Nun, man kann nicht alles haben, dachten wir uns und planten, heute immerhin ein Stück westlich entlang der Müritz zu fahren. Einen Umkehrpunkt hatten wir noch nicht festgelegt, weil wir nicht wussten, wie gut wir vorankommen würden. Röbel, 30 Kilometer von unserem Ausgangspunkt Waren entfernt, würden wir hoffentlich erreichen können, und wir mussten ja auch wieder zurück fahren. Der Radweg führt zunächst nach Klink, einen hübschen Ferienort. Von dort geht es weiter Richtung Röbel auf dem markierten Müritz-Radweg. Der Weg verläuft nicht immer am Ufer entlang, weicht Grundstücken, Feldern, ganzen Ortschaften aus und entfernt sich mitunter recht weit vom Wasser. Nach drei Stunden haben wir Röbel erreicht. Der Ort hat einen hübschen kleinen Hafen und ein Zentrum mit vielen typischen Backsteinbauten. Wir rasten kurz und überlegen, wie wir weiter fahren. Eine Stunde noch nach Süden fahren? Ich bin dafür, maximal noch fünf Kilometer weiter zu fahren. Siebzig Kilometer wären für heute gerade richtig. (Die 70 Kilometer bei unserer Seenland-Tour haben sich auf zwei Tage verteilt.) Allerdings haben wir beide wenig Lust, auf dem gleichen Weg nach Waren zurückzufahren. Die Strecke Waren-Röbel scheint ein Klassiker zu sein, ist sehr befahren, wir begegnen immer wieder vielen Radfahrern und auch das Ufer der Müritz ist an dieser Seite sehr zugebaut. Ab Röbel wird es sofort ruhiger und der Weg führt weite Strecken nur durch die Natur. Das gefällt uns viel besser und wir fahren zunächst nach Ludorf. Da wir hier 40 Kilometer zurückgelegt haben, wird uns klar, dass wir durchaus die ganze Umrundung schaffen können. Und da uns der Weg und die Landschaft hier viel besser gefallen, ist der Plan schon gefasst. Bisher hatten wir kräftigen Gegenwind, aber auch dies verändert sich zu unseren Gunsten. Eine Wohlfühltour ist es dennoch nicht. Wir möchten pünktlich vor 18 Uhr wieder am Fahrradverleih in Waren sein und fahren deswegen so zügig, wie wir können. Ich hätte gern viel öfter angehalten, fotografiert und einfach nur die Landschaft genossen. Es gibt immer wieder sehr hübsche Aussichtspunkte und die Gegend ist einzigartig. In Vipperow überqueren wir die „Kleine Müritz“, die hier beinahe wie ein Fluss aussieht, und sind bald darauf auf der anderen Seite. Unser nächstes Ziel ist Rechlin, wo wir rasten. Nach 52 Kilometern brauchen wir Kaffee und Kuchen, Kalorien, denn vor uns liegt noch ein gutes Stück Weg. Ich habe keine rechte Freude an dieser Tour, es geht mir viel zu schnell und leistungsorientiert voran. All das ist in dieser Landschaft völlig fehl am Platze. Wir fahren auf Boek zu, haben ganz viel Natur um uns herum, Wiesen, Wald, Sumpf, Moor, aber wir gönnen uns keine Pause, da wir die Strecke nicht abschätzen können. Etwas Reserve braucht man ja immer, falls man sich verfährt. In Boek fahren wir in den Müritz-Nationalpark hinein. Unser Weg wird auch weiterhin gut befahrbar bleiben, was nicht auf alle Wege hier zutrifft. Immer wieder kann man auf Aussichtsplattformen steigen – auch hier müsste man Zeit mitbringen und nach Möglichkeit auch ein Fernglas. Nie mehr ohne Fernglas hinaus in die Natur – dies haben wir bei der Adler-Safari gelernt! Vorbei geht es am Specker See und Schwarzenhof Richtung Federow, wo wir gestern waren. Kurz vor Federow sehen wir wieder den Fischadler-Horst, den wir gestern schon beobachtet haben, auf einem großen T-förmigen Strommast. Dann zweigt unser Weg nach Waren ab. Ein Stückchen noch durch den Wald – die Strecke ist mir glücklicherweise schon vom Laufen bekannt. Pünktlich 16.30 Uhr können wir unsere Fahrräder abgeben. Mit eigenen Rädern hätte diese Tour sehr viel entspannter ablaufen können, aber unter diesen Bedingungen wären wir gar nicht hierher gekommen! Aus sportlicher Sicht sind wir mit der Müritz-Rundfahrt zufrieden, und eigentlich könnte ich noch zufriedener sein, weil ich heute morgen schon elf Kilometer gejoggt bin. Aber meine Freude hält sich in Grenzen, weil ich die Fahrt nicht genießen konnte. Zeitdruck ist in einer so weiten, faszinierenden Landschaft genau das, was man nicht haben sollte. Für einen ersten, flüchtigen Eindruck war die Fahrt dennoch gut. Wiederkommen würde ich gern, aber nur mit sehr, sehr viel Zeit.

Montag, 10. Juni 2013

32 km auf Hiddensee

Als vor ein paar Tagen unsere Urlaubspläne auf Kippe standen, überlegte ich schon, komplett umzudisponieren: irgendwohin in den Süden zu fliegen, wo garantiert schönes Wetter ist (die Kanaren sind ziemlich sonnensicher), zumal ein Flug die beste Möglichkeit sein würde, das Elbtal zu verlassen. Wir wussten nicht, wie hoch der Elbpegel noch steigen würde; ob überhaupt alle Bahnhöfe in Betrieb sein würden. Es wurde tatsächlich ein Flug, allerdings nach Düsseldorf, von wo es mit dem Zug über Berlin hinauf an die Ostseeküste ging. Kann man überhaupt an Urlaub denken, wenn man an der Elbe wohnt und das Wasser höher und höher steigt, fragte ich mich. Ja, man kann und man sollte auch, wenn man die Auszeit dringend braucht. Wir haben Dresden verlassen, als das Wasser wieder langsam zurück ging. Unser erstes Ziel war die Insel Hiddensee, und ich bin froh, an diesem Ziel festgehalten zu haben. Unsere Fahrräder sind zuhause geblieben. Für eine Reise mit Fahrrädern in der Bahn braucht man Normalität: Ausfälle, Ersatzverkehr, Einschränkungen im Regionalverkehr sind insgesamt zu nervenaufreibend – sowas vermeide ich, wenn es irgend möglich ist. Mit Mietfahrrädern sind wir nun auf der Insel Hiddensee unterwegs. Wir brechen kurz vor zehn Uhr in Vitte am Hafen auf, fahren auf dem Deich am Schapproder Bodden entlang; der Himmel ist unglaublich blau und spiegelt sich im ruhigen Wasser. Es ist sommerlich, aber gerade noch nicht Hochsaison: eine ideale Zeit, hierher zu reisen. Vitte ist relativ zentral auf der Insel gelegen. Wir wollen zuerst nach Süden, nach Neuendorf fahren. Man hat einen weiten Blick über die Heidelandschaft zum Bodden. An einem Teich mit Seerosen halten wir an, man hört die Frösche quaken. Überall stehen Warnschilder vor Kreuzottern. Als Kind war ich oft hier auf der Insel, aber damals müssen die Schlangen noch weniger zahlreich gewesen sein. Neuendorf, das ich sehr „dörflich“ in Erinnerung habe, ist auch heute noch ein recht idyllischer, aber weniger verschlafener Ort; es gibt Restaurants und ein paar interessante kleine Geschäfte. Dennoch hat der Tourismus die Insel nicht so nachteilig verändert, wie ich es befürchtet hatte. Und für Kurzurlauber wie uns hat ein wenig Zivilisation doch einige Vorteile. Hinter Neuendorf ist der Weg nun weniger gut: es ist ein viel befahrener Waldweg mit Rinnen und sehr sandigen Abschnitten, wo man mitunter absteigen muss. Das letzte Stück bis zum Leuchtturm am Gellen ist mit Stroh belegt worden, aber auch auf dem Stroh fährt es sich nicht besonders gut. Der kleine Leuchtturm ist, im Unterschied zum großen Leuchtturm am Dornbusch, für Touristen nicht begehbar. Der Strand hier ist sehr schön und wir nutzen die Gelegenheit zum Baden. Danach entschließen wir uns, noch ein Stück zu fahren. Weiter geht es auf schmalen Pfaden durch die Heide. Endlich haben wir den Absperrzaun erreicht: jenseits des Zaunes ist Naturschutzgebiet, das nicht mehr betreten werden darf. Der Gellen ist vor allem Vögeln, aber auch anderen Tieren vorbehalten; durch angeschwemmten Sand wächst er stetig. Es gibt auch eine weite Flachwasserzone, die wir bei unserer Fahrt mit dem Schiff zur Insel gut sehen konnten. Hier unten kurz vor der Absperrung ist der Strand besonders schön und auch nicht überlaufen. Auf dem Rückweg nach Neuendorf nehmen wir einen anderen Pfad durch die Heide und können auch den strohbedeckten Weg ein Stück umfahren. In Vitte machen wir zunächst eine Pause, ehe wir uns weiter nach Norden wenden. Die Insel Hiddensee ist 18 Kilometer lang. Wenn man davon ausgeht, dass man sie nicht komplett befahren kann, mutet dies eher bescheiden an. Aber nicht alle Wege sind in so gutem Zustand wie die Strecke von Kloster bis Neuendorf, und ich fand unsere heutige Fahrt nicht unanstrengend. Kloster ist der Ort mit den meisten Sehenswürdigkeiten der Insel. Hier gibt es ein kleines, interessantes Heimatmuseum, das Gerhart-Hauptmann-Haus und einige interessante Geschäfte. Von hier führen schöne Wanderwege hinauf aufs Hochland; einen davon sind wir gestern gegangen. Man kann auch am Strand entlang bis zur Steilküste laufen. Früher konnte man bis an den nördlichen Strand der Insel, den Bessin, wandern, aber dies ist wegen der Abbrüche am Dornbusch nicht mehr empfehlenswert. Überall an Wegkreuzungen auf der Insel gibt es kleine Wegweiser, aber ich finde den Weg von Kloster nach Grieben auch ohne diese Orientierungsmöglichkeit. Grieben ist der älteste Ort der Insel, ein Dorf, das über keinen Hafen verfügt. Es ist auch heute noch klein und idyllisch. Als Kind war ich mehrmals in den Sommerferien hier; in einer Ferienwohnung gegenüber vom Gasthaus „Enddorn“, das noch immer existiert. In der DDR waren Urlaubsquartiere an der Ostsee nicht leicht zu bekommen; dies galt besonders für Hiddensee. Auch heute noch gilt Hiddensee als Insel für Aussteiger. Das hört sich sehr verlockend an. Für mich ist die Insel mit vielen Erinnerungen verbunden. Tatsächlich könnte ich es hier sehr viel länger aushalten als beispielsweise auf Lanzarote. Man kommt auf Hiddensee zur Ruhe und die Landschaft ist doch recht abwechslungsreich. Besonders das Hochland mit seinen vielen Wanderwegen und Pfaden, stillen Fleckchen und Aussichtspunkten ist sehr interessant, aber man findet auch sonst viele schöne Plätze zum Ausspannen. Der Weg von Kloster nach Grieben ist kaum anders als früher: er führt an Weiden vorbei, wo Pferde grasen. Man sieht linker Hand den Leuchtturm auf dem Dornbusch und dann kommen schon die wenigen Häuser des Dörfchens. Im Unterschied zu früher, wo man nur in Kloster und Vitte einkaufen konnte, hat Grieben heute zumindest einen winzigen Laden. Wir fahren weiter geradeaus am Ort vorbei, auch hier mit schönem Ausblick zum Bodden. Der Weg ist immer noch mit groben Betonplatten ausgelegt. Früher war dies eine vorwiegend landwirtschaftlich genutzte Strecke, heute leben die Inselbewohner überwiegend vom Tourismus und Fahrräder, Pferdefuhrwerke sowie Wanderer dominieren. Dort, wo die Steilküste wieder abflacht, gehen wir hinunter zum Strand. Es ist Idylle pur: weißer Sand, blaues Meer, kaum Menschen. So kenne ich den Strand aus meiner Kindheit. Aber im Wasser liegen große Steine und wir gehen doch nicht hinein. Unsere Suche nach Bernstein ist hier nicht von Erfolg gekrönt, aber ich habe schon heute Morgen bei Vitte ein hübsches kleines Stückchen gefunden, so dass ich mich geradezu vom Glück verwöhnt fühle. Wir sehen den Abbruch an der Steilküste, begnügen uns mit dem Blick dorthin und gehen nicht weiter. Mit den Rädern geht es zurück; schnell sind wir in Kloster und in Vitte, wo wir unsere Tour beenden. Fotos von Stralsund und Hiddensse