Sonntag, 30. August 2009

29.8.2009: Dresden - Heidenau - Altenberg und zurück

Es gibt Tage, die viel zu schade sind, um mit Alltagskram verbracht zu werden. Der vergangene Freitag war so einer; am liebsten wäre ich schon am frühen Morgen auf mein Rennrad gestiegen, um hinaus aus der Stadt und ins Grüne zu fahren. Ich nahm dann ein anderes Rad und fuhr ins Büro, mein Vorhaben für den Sonnabendmorgen stand aber von jenem Moment an fest.

Am Vorabend hatte ich wie vor jeder längeren Tour Luft aufgepumpt, beim Rennrad ist das noch wichtiger als bei anderen Fahrrädern. Kurz vor sechs Uhr brach ich auf.
Als Ziel hatte ich Wehlen in der Sächsischen Schweiz anvisiert; von mir zuhause bis dorthin sind es etwas über 20 Kilometer. Rennradfahren ist nicht so bequem wie das Fahren mit einem gefederten Tourenrad, es geht vor allem um Leichtigkeit und Schnelligkeit, deshalb wird auch am Komfort gespart, weswegen das Fahren auf unebenen Strecken nicht zu empfehlen ist. Der Elberadweg eignet sich hervorragend für eine Rennradtour. Ich hatte mal wieder Lust, in östlicher Richtung aus der Stadt zu fahren. Das bedeutet, weil ich dicht an der nordwestlichen Stadtgrenze wohne, eine längere Fahrt durchs Stadtgebiet, aber von Tolkewitz an bis Wehlen ist der Elberadweg sehr schön und landschaftlich reizvoll. Eine Vergnügungsfahrt mit einem Mindestziel stand also in Aussicht.

Die Sonne ging über den Elbhängen auf, als ich mich kurz vor Pillnitz befand. Es war kühl und windstill, die Elbe floss träge und spiegelglatt dahin. Ich war eine Weile nicht mit dem Rennrad gefahren und hatte meine Freude daran, wie schnell es auf Tempo zu bringen war. Der Himmel war leicht bewölkt, es versprach kühler zu werden als in letzter Zeit. Optimale Bedingungen waren das, und ich dachte an ein Wunschvorhaben, das ich seit langem schon hegte und für diesen Tag, um ehrlich zu sein, auch schon ins Auge gefasst hatte. In Kleinzschachwitz hatte ich auf einmal zwei sportlich gestylte ältere Herren mit ihren Tourenrädern vor mir. Sie fuhren mir ein wenig zu langsam, aber nicht so langsam, dass ich mühelos einen größeren Vorsprung würde erreichen können, wenn ich sie überholte. Ich hätte sie zur Seite klingeln müssen und spätestens beim nächsten Halt wieder vor mir gehabt. Während ich mich in Geduld übte und erst einmal hinter ihnen blieb, sah ich die Höhenzüge, die sich oberhalb von Heidenau abzeichneten. In die Berge fahren wollte ich lange schon. All das zusammen, das gute Wetter, das schnelle, gebirgstüchtige Rad, meine Unternehmungslust und nicht zuletzt die gestylten Opis auf dem Elberadweg ließen mich den Entschluss fassen, nach Heidenau abzubiegen und Richtung Erzgebirge zu fahren.

Die bequemste Strecke ins Erzgebirge führt meiner Meinung nach durchs Müglitztal, und dort fuhr ich hoch. Bisher war ich nur mit Bus, Bahn oder als Kind mit dem Auto dort hinaufgefahren und wusste, dass sich dieses Tal sehr in die Länge zieht. Altenberg, Endhaltestelle der Müglitztalbahn, ist 38 Kilometer von Heidenau entfernt. So weit wollte ich eigentlich nicht fahren, obwohl sich der Ort als Zielpunkt sehr lohnend anhört. Altenberg ist nicht nur ein bekannter Ferienort, sondern auch relativ hoch gelegen, was schöne Ausblicke in die Umgebung ermöglicht. Aber ich nahm mir Geising, unseren Lieblings-Erzgebirgs-Ferienort, als Höchstziel vor und wusste, dass es eine Herausforderung für mich sein würde, dorthin zu kommen. Und Herausforderungen sind es ja, die ich hin und wieder bei solchen Touren suche. Oftmals möchte ich einfach nur fahren und die Landschaft genießen, aber an manchen Tagen möchte ich mich richtig fordern. Und an diesem Sonnabend war ich nicht nur ehrgeizig, sondern kampflustig.

Dohna, gleich hinter Heidenau gelegen, war schnell erreicht, weiter ging es leicht bergauf bis Wesenstein. Normalerweise bin ich schaltfaul, aber bei der Fahrt ins Gebirge lernte ich die Vorteile der Schaltung kennen; sie kann enorm Kräfte sparen helfen.

Gegen sieben Uhr war ich in Zschieren gewesen, am östlichen Stadtrand von Dresden; 9.15 Uhr war ich in Glashütte. Dieser Ort ist durch sein Uhrenhandwerk bekannt; Sten Nadolny hat ihn nicht nur in seinen Poetikvorlesungen, sondern auch in seinem Roman „Er oder Ich“ verewigt.

Ich überlegte, ob ich weiterfahren sollte, denn ich hatte mich schon einigermaßen verausgabt. Der Bauch tendierte zu nein, aber der Kopf wollte weiter, weiter bis Geising. Ich brach nach einer relativ kurzen Pause wieder auf. Nach ein paar Kilometern erreichte ich Bärenhecke, und mit einem Mal sah ich einen Wegweiser „Altenberg - Geising“ rechts von mir. Die Straße führte den Berg hinauf. Nun, dachte ich mir, also dort entlang. Ich tat mein Bestes, schaltete herunter, musste dann aber doch vom Rad und schieben. Mir fiel ein, dass ich weiter durchs Müglitztal hätte fahren können, wollte aber weiter auf der noch unbekannten Strecke bleiben. Steiler und steiler ging es hinauf, an Fahren war erst einmal nicht zu denken. Aber die Aussicht auf einen schönen Rundblick reizte mich. Noch bevor ich auf der ersten Anhöhe ankam, musste ich das rechte Knie bandagieren, das nicht mehr so richtig wollte: ein typisches Zeichen von Überlastung. Bei längeren Touren habe ich die Sportbandage meist dabei, hatte sie aber in diesem Jahr noch nicht benötigt.

Ich stieg, sobald es möglich war, wieder aufs Rad und fuhr nach Johnsbach hinein. Dieser Ort liegt in einer Niederung inmitten einer Hochebene, es ging also wieder ein Stück hinunter und danach wieder hinauf. Auf der Höhe war es drückend schwül, ich schaffte den Anstieg mit dem Rad nicht, aber das Laufen war wegen des lädierten Knies auch beschwerlich, und die Bandage half kaum noch.

Irgendwann blickte ich mich um und hatte wirklich eine sehr schöne Aussicht nach allen Seiten. Der nächste Wegweiser zeigte nur noch Altenberg an und nicht mehr Geising. Ich ahnte, dass ich auf einer Art Kammstraße gelandet war und vielleicht gar keine Möglichkeit mehr haben würde, abzukürzen. Ich schalt mich eine Idiotin. Sollte ich eine Panne haben, ging es mir durch den Kopf, würde ich nicht einmal mehr das Rad zur nächsten Bahnstation schieben können, denn die Bahnstrecke verlief im Tal, und ich hatte mich weit davon entfernt. Aber dann ging es ein ganzes Stück bergab, plötzlich schmolzen die Kilometer wie von selbst dahin, und das war wieder Rennradfahren, wie es Freude macht, schnell und leicht fliegt man über den Asphalt dahin.

Plötzlich sah ich den Geisingberg links von mir liegen. Hinter dem Geisingberg liegt Geising, aber links herum führen nur Wanderwege, und rechts vom Geisingberg führte die Straße, auf der ich noch abwärts fuhr, wieder aufwärts Richtung Altenberg. Ich hatte keine andere Wahl, als auf der Straße zu bleiben. Unten im Tal begann Hirschsprung. Durch diesen Ort waren wir beim letzten Erzgebirgsurlaub gewandert, und so wie wir damals gegangen waren, ging ich nun auch, das Rad schiebend, Richtung Altenberg. Das Laufen wurde immer beschwerlicher, und ich war froh, als ich wieder aufsteigen und fahren konnte. Aber es dauerte nicht lange, und vor mir lag der letzte steile Anstieg. Da hieß es: Zähne zusammenbeißen, und, aufs Rad gestützt, langsam hinauf. Ich kümmerte mich schon gar nicht mehr darum, wie albern das aussehen musste, ein Rennrad so langsam bergauf zu schieben. Oben ankommen war das Ziel.

In Altenberg kannte ich mich soweit aus, dass ich die Straße nach Geising mühelos fand. Wir sind sie schon ein paar Mal hinunter gelaufen, und nun fuhr ich, den im Tal liegenden, wunderschönen Ort vor Augen. Ich hätte jubeln können. Um mich herum war auf einmal viel Verkehr, Autos, Lastwagen, Motorradkonvois, so dass ich darauf verzichtete, in Geising anzuhalten. Ich fuhr direkt ins Müglitztal und machte erst an einem geeigneten Platz Halt. Das Müglitztal ist zwar lang, aber ich konnte das Rad weitgehend rollen lassen und war zuversichtlich, gut bis Heidenau zu kommen.

Am Morgen war es beinahe windstill gewesen, aber nun hatte ich spürbaren Gegenwind und konnte nicht ganz aufs Pedalentreten verzichten. Aber es war eine Freude, zu spüren, welch geringen Widerstand dieses leicht gebauten Rad dem Wind entgegensetzt. Legt man sich richtig hinein, ist Gegenwind, zumindest talwärts, fast kein Hindernis. Ich fuhr so kräftesparend wie möglich, ließ mich rollen, so gut es ging, kam mir wie eine lahme Ente vor – denn das Rad hätte schneller gekonnt – und fand es allmählich grenzwertig, was ich tat. Es war recht kühl, beinahe herbstlich geworden, und der Wind trieb herabgefallene Blätter über die Straße.

In Heidenau fährt halbstündig die S-Bahn nach Dresden. Die Bahn zu nehmen, sagte eine Stimme in mir – ob Bauch oder Kopf, konnte ich nicht mehr ermessen -, ist das einzig Vernünftige. Bis dorthin und nicht weiter. Aber es gab auch eine Gegenstimme, die mich antrieb: Heidenau ist beinahe schon Dresden, und wenn du es bis dorthin geschafft hast, schaffst du es auch bis nach Hause.
Glashütte, Wesenstein, Dohna, Heidenau – und hinunter zur Elbe. Mittlerweile war auch das Fahren schmerzhaft, aber ich war stur und wollte aus eigener Kraft heimkommen.

Für Momente wie diese braucht man Vorbilder. Ich dachte an eine Freundin, von der ich gelernt habe, dass Frauen, wenn sie wollen, überall hinkommen können, und dass Abenteuer viel zu reizvoll sind, um sie den Männern zu überlassen. Dies war nun die ersehnte Grenzerfahrung, für die ich keinen Cent zahlen musste, also riss ich mich zusammen.

Ist man ausgeruht, sind fünfzehn Kilometer ein Nichts. Ist man aber erschöpft und hat dazu Gegenwind, können fünfzehn Kilometer sehr lang sein. Ich machte noch drei kurze Pausen. Laufen, und sei es nur ein paar Schritte zur Bank, ging kaum noch, Radfahren nur mit Mühe. Ich überholte noch ein paar Sonntagsfahrer, aber nur diejenigen, die in Zeitlupentempo fuhren. Es ging nicht mehr um Schnelligkeit. Zu Hause ankommen war das Ziel. Ich zählte die Stadtteile: Zschachwitz, Laubegast, Tolkewitz, Johannstadt, wo ich die Elbe überquerte, Stadtzentrum, endlich Dresden-Nord. Gegen 13.30 Uhr hatte ich es geschafft – und war geschafft.

Mit dieser Tour habe ich mich eindeutig übernommen, aber im Grunde habe ich es so gewollt. An manchen Tagen will man wissen, was man sich zumuten kann. Gelernt habe ich einiges, so, dass man in den Bergen nicht nur eine Gangschaltung benötigt, sondern auch Muskeln, die erst aufgebaut werden müssen. Aber wichtiger war es, zu erleben, wie der Körper „Schluss“ sagt und wie es dann noch fünfzig Kilometer lang weiter gehen kann – an gewissen Tagen, wohlgemerkt.

Donnerstag, 6. August 2009

6.8.2009: Dresden - Strehla und zurück

Die Anweisung meiner Chefin, Überstunden abzubauen, kam mir bei diesem Sommerwetter wie gerufen. Tatsächlich sollte der Wetterbericht Recht behalten: es war herrliches Fahrradwetter.

Als ich gegen 5.30 Uhr aufbrach, war es gerade hell geworden. Orangen schimmernd, verblassend sank der Mond. Spätsommerlicher Nebel lag über den Niederungen des Elbtals. Es war angenehm, in der Morgenfrische zu fahren. Ich wollte diese Zeit nutzen, denn hochsommerliche Temperaturen waren angesagt.

Die Meißner Altstadt bot wieder eine schöne Kulisse für ein Frühstück. Als ich weiter fuhr, schlug die Domglocke sieben. Dann stimmten nach und nach andere Kirchenglocken ein. Die Nacht war vergleichsweise warm gewesen. Schon einige Kilometer hinter Meißen konnte ich in Radlerhose und T-Shirt fahren und die Jacke im Gepäck verstauen. Noch war es ruhig auf dem Elberadweg, und das sollte noch eine ganze Weile so bleiben. In Diesbar-Seußlitz war ich 45 Minuten später, hielt aber nicht an. Als Ziel für diesen Tag hatte ich mir Riesa vorgenommen, bis dorthin wollte ich auf jeden Fall kommen.

Im vergangenen Jahr war Riesa ein Ausnahmeziel gewesen. Fünf Kilometer vor der Stadt – ich konnte sie bereits sehen – kehrte ich um. EineTagesstrecke von 90 Kilometern war bisher mein Maximum gewesen. Für den heutigen Tag hatte ich den Wunsch, 100 Kilometer zu schaffen.

Ich erinnerte mich wieder gut an den Streckenverlauf und die einzelnen Punkte und Ortschaften, der Elberadweg ist aber auch gut ausgeschildert. Neuseußlitz, Merschwitz mit einer kurzen Ortsdurchfahrt, dann eine Treppe mit einer Schiene, auf der man die Fahrräder hinauf und hinunter befördern kann. Hier befand sich eine mittelalterliche Furt, wenige Meter danach bewegt man sich auf den Überresten eines grob gepflasterten Treidelpfades, vorzugsweise schiebend. Die Elbe und die Wiesen und Auen sind dort geradezu malerisch. Ein paar Kilometer hinter Merschwitz endet der Fahrweg an der Elbe, der Radweg biegt rechts ab und kreuzt eine Straße. Es ist aber auch möglich, an der Elbe auf einem Wiesenweg weiterzufahren. Ein Schild weist darauf hin, dass es sich um ein Firmengelände handelt und Befahren und Betreten auf eigene Gefahr sind. Da ich den Weg kenne und nicht wüsste, welche Gefahren dort drohen sollten, fuhr ich weiter, wenn auch langsam, da es nur zwei sehr schmale Fahrrinnen im Gras gibt. Dieser Weg bietet Idylle pur: Elbauen, ein ruhig dahinfließender Strom, kein Gegenverkehr, Stille. Ein Hase saß mitten auf dem Weg und hoppelte, als ich näher kam, ein Stück beiseite. Ich konnte ihn immer noch gut sehen und auch fotografieren. Oberhalb der Böschung, die sich einige Meter rechts vom Weg erhebt, ist das Gelände eingezäunt, es gehört zum Chemiewerk Nünchritz.

Der Wiesenweg trifft bei Nünchritz wieder den Elberadweg. Bei Grödel führt er ein Stück durch den Ort, um sich danach wieder der Elbe zu nähern . Es geht von nun an immer schnurgerade auf einem Hochwasserschutzwall entlang, was einen schönen Ausblick ermöglicht und auch wenig Mühe macht, da es kaum Anstiege und Abfahrten gibt. Das Land ist flach und weit, immer wieder kommt man an Sonnenblumenfeldern vorbei. Das Örtchen Moritz, an einem wunderschönen, stillen Abschnitt der Elbe gelegen, wartet mit einem neuen, recht stattlichen Hotel auf, das laut Beschreibung radfahrerfreundlich ist. Lage und Gartenanlage hätten mir gefallen, aber ich hatte nicht vor, dort zu übernachten; Moritz liegt auch zu nahe bei Dresden, als dass es als Quartier sinnvoll wäre.
Nun ging es weiter auf dem Weg bis Riesa, unter den Elbbrücken hindurch, von denen eine ein wenig an die Waldschlösschenbrücke erinnert, die Dresden bald verunzieren wird.

Ich hatte es für möglich gehalten, und nun tat ich es auch: ich fuhr noch ein Stück weiter, um mir die hundert Kilometer wirklich zu sichern und mir einen Eindruck vom weiteren Streckenverlauf zu verschaffen. Der Weg war gut befahrbar, mit wenigen Steigungen, weitgehend bequem und gut zu finden. Ringsum schöne Ausblicke in eine weite Landschaft; ganz anders sieht es dort aus als in dem von Hängen gesäumten Elbtal bei Dresden. Nach einem Stück Landstraße durchquert man den winzigen Ort Zschepa. Ein größerer Ort zeichnete sich am anderen Elbufer ab; wie sich herausstellte, war das bereits Strehla. Ich fuhr an der Fähre vorbei, wo man zur Altstadt übersetzen kann, und hielt kurz an einem Parkplatz, der Anglern vorbehalten ist. Dies war nun der Wendepunkt, kurz vor 9.30 Uhr. Auf einer schattigen Bank in Zschepa hielt ich noch einmal, der Haltepunkt zuvor war sehr sonnig gewesen. Dann fuhr ich durch bis Grödel. Erst hinter dem Ort, im Schatten eines Baumes, machte ich eine längere Pause, um mir eine Kalorienbombe zu gönnen: Pudding mit Bananenstücken, ein herrlicher Energiespender, dazu Kaffee aus der Dose. Es gibt auch immer wieder Bänke, um zu rasten, aber da die Sonne schon hoch am Himmel stand, war es angenehm, an einem schattigen Platz im Gras zu sitzen. Dieses Fleckchen – sehr schön und ruhig war es dort – muss ich mir merken. Kurz vor Nünchritz graste ein Bulle am Wegrand; ich hatte noch nie zuvor einen so nahe gesehen und fand ihn mit seinem massigen Körperbau ziemlich beeindruckend.

Nun fuhr ich den offiziellen, ausgeschilderten Weg durch Nünchritz und direkt am Chemiewerk entlang: dieser Abschnitt ist zwar weniger hübsch, lässt sich aber gut fahren, da es ein breiter, separater Radweg neben der Straße ist.

Die nächste kurze Trinkpause war in Diesbar, die letzte Rast kurz vor Niederwartha. Obwohl ich nun längst nicht mehr allein auf dem Elberadweg war, fuhr es sich ganz angenehm. Bei Radebeul standen zwei Störche ruhig und beinahe regungslos auf einer Wiese, sie wirkten auf ersten Blick fast unecht. Mehrere Radfahrer kamen vorbei, ganze Kolonnen sogar, doch die Tiere ließen sich nicht davon beeindrucken.

13.15 Uhr war ich wieder in Dresden und sehr zufrieden: 120 Kilometer Strecke waren es insgesamt gewesen. Ich finde es beglückend, aus eigener Kraft Landschaften erkunden zu können, und Touren wie diese machen Lust auf mehr.

Sonntag, 2. August 2009

31.7.2009 Dresden – Diesbar/Seußlitz und zurück

Ich hatte mir diesen Freitag vorgenommen, das Wohnzimmer zu renovieren, aber zuerst wollte ich radfahren.
Nach vielen unbeständigen Wochen herrschte stabiles Sommerwetter, der Wetterbericht hatte einen freundlichen, nicht zu warmen Tag angekündigt. Diese Gelegenheit musste genutzt werden!

Wenn ich morgens auf dem Weg zur Arbeit ein Stück am Elbufer entlang fahre, wenn die Sonne am blauen Himmel aufsteigt, die Hänge klar am Horizont sichtbar sind, wenn ich Spaziergänger sehe, die zu früher Stunde am Wasser entlang bummeln, manchmal auch ein Zelt, das einem Angler oder kurz entschlossenen Camper als Nachtlager diente, dann wird die Sehnsucht so groß, dass nur noch eines hilft: ihr so bald wie möglich nachzugeben.

Ich liebe den Elberadweg und fahre immer wieder gern dort entlang. Nicht nur ich habe diese Vorliebe: es gibt Tage und Tageszeiten, da man ihn besser meiden sollte, es sei denn, man fährt gern in dem Gedränge von Spaziergängern, Bummlern, Skatern und Radfahrern unterschiedlichster Kondition und Mentalität. Die frühen Morgenstunden sind die besten, nicht nur hinsichtlich des Verkehrsaufkommens, sondern auch wegen der Atmosphäre, der Landschaft, des Lichtes und der Tiere, die man mitunter zu sehen bekommt. Aus all diesen Gründen lohnt es sich, an einem freien Tag den Wecker zu stellen. Ich stand gegen fünf Uhr auf, um kurz nach sechs Uhr aufzubrechen.

Kühl und frisch war es, die Sonne stieg gerade über den Häusern auf. Ich war froh, die Jacke mitgenommen zu haben. Auf dem Hinweg hatte ich etwas Gegenwind, und ich konnte sie erst bei der Rückfahrt in meiner Seitentasche verstauen. Meine Bedürfnisse beim Radfahren sind von Tag zu Tag unterschiedlich. Irgendwann werde ich hoffentlich für die unterschiedlichsten Bedürfnisse und Strecken gerüstet sein und einen Stall voller Räder haben. Aber mit meinen drei Fahrrädern bin ich für den Anfang gut ausgerüstet. Das Einkaufsfahrrad mit Körbchen kann bei Touren zu Hause bleiben. Gern fahre ich mit meinem Rennrad, einem älteren Modell. Es ist geradezu ideal geeignet, wenn ich schnell wieder von einer Tour zurück sein möchte; das besondere Fahrgefühl kommt hinzu. Manchmal, wenn ich keine Zeit für längere Strecken habe, fahre ich eine Runde ums Viertel damit, um die Leichtigkeit zu spüren und dabei an vergangene und zukünftige Touren zu denken.

Aber mindestens genau so lieb ist mir mein Allroundrad, mit dem ich sowohl in der Stadt als auch auf Landstraßen und Waldwegen fahren kann: es ist schwer und kompakt, hat breite Reifen mit starkem Profil, ist voll gefedert und hat einen extra breiten, bequemen Lenker. Den Lenker habe ich entsprechend aufgerüstet. Von den drei Gängen benutze ich meist nur einen. Es ist genaugenommen eine Kombination zwischen Tourenrad und Mountainbike. Zum Fahren in die Berge ist es jedoch ungeeignet, und diese Disziplin muss ich ohnehin noch erlernen.

Ich nahm also dieses Rad. Es ging mir nicht um Schnelligkeit, ich wollte die Tour genießen und viel sehen. Außerdem wirkt dieses Rad mit seiner guten Straßenlage beruhigend auf mich, gerade bei weiteren Touren. Die Strecke, die ich mir ausgesucht hatte, ist eine mittlere, aber ich war seit ein paar Wochen nicht weiter als bis Meißen gefahren, und deshalb wertete ich mein Vorhaben als Ausnahme, von der ich aber wünsche, dass sie zur Regel wird.

In die morgendliche Stille mischte sich der Straßenlärm – Berufsverkehr zu Beginn der Tour. In Kaditz Traktoren, Lastwagen, Arbeit auf den Feldern. Hinter mir brauste ein Lastwagen heran, ich war froh, auf den Elberadweg einschwenken zu können, ehe er mir zu nahe kommen konnte.

Der Himmel war von Schleierwolken überzogen, und an einigen Stellen schimmerte es blau. Die Sicht war klar, zu meiner rechten Seite waren die Radebeuler Weinberge deutlich zu sehen. Gelegentlich kamen mir Radfahrer entgegen, ihrer Kleidung und Ausrüstung nach zu urteilen waren sie entweder auf dem Weg in die Stadt oder auf Tour wie ich.

Als ich die im Bau befindliche Brücke bei Niederwartha erreichte, befand ich mich plötzlich vor einer Baustellenabsperrung, die nicht die kleinste Durchfahrt ließ. Ich ärgerte mich, dachte aber nicht daran, von meinem Vorhaben abzusehen. Während ich noch überlegte, ob ich die Elbseite wechseln sollte, sah ich einen Radfahrer, der gerade von der Brücke herunter kam und auf einen schmalen Weg dicht am Wasser fuhr. Ich folgte ihm und gelangte auf eine Umleitung. Bald war ich wieder auf dem Elberadweg und fuhr weiter Richtung Coswig. Auf meinem Lieblingsrastplatz mit „Bosel-Blick“ wollte ich frühstücken, aber da ich noch nicht hungrig war, fuhr ich weiter bis Meißen. Die Bosel ist ein markanter Felsen, der immer wieder für traurige Schlagzeilen sorgt, er ist ein häufig gewähltes Ziel von Lebensmüden. Erst in der vergangenen Woche gab es dort zwei Todesfälle. An diesem idyllischen Ort liegen Weinberge, und es gibt ein paar hübsche Häuser mit Elbblick. Ich glaube aber nicht, dass ich dort gern wohnen würde.

Gegen 7.30 Uhr – um diese Zeit komme ich normalerweise im Büro an - frühstückte ich in Meißen auf einer Bank mit Blick auf Dom, Albrechtsburg und Altstadt und schätzte mich ausgesprochen glücklich. Noch war wenig los, ein paar Radfahrer und Leute, die ihre Hunde ausführten, waren unterwegs. Hinter Meißen beginnt ein wunderschöner und ruhiger Abschnitt des Elberadwegs mit viel Landschaft, Blick aufs Wasser und nur wenigen kleinen Ortschaften, die durchquert werden. Bei Nieschütz führt der Weg von der Elbe weg und ein Stück durchs Dorf, wo aber wenig Verkehr herrscht. Die Elbe macht dann einen weiten Bogen nach rechts, und bald ist man wieder auf dem Elberadweg. Von da an ist es nicht mehr weit bis Diesbar-Seußlitz. Von Dresden-Nord bis nach Meißen fährt man etwas mehr als 20 Kilometer, bis Diesbar sind es noch einmal 12 Kilometer.

Das Wetter war so ideal, und das Fahren gefiel mir so gut, dass ich mit dem Gedanken zu spielen begann, bis Riesa zu fahren. Ich bin diese Strecke schon einmal gefahren und traute sie mir durchaus zu. Von Diesbar aus wären es noch an die 15 Kilometer bis Riesa gewesen.

Ich rastete in Diesbar auf einer Bank und überlegte noch kurz, aber im Grunde hatte ich mich schon entschieden. Unser Wohnzimmer mitsamt der bereits angerührten Wandfarbe erwartete mich, und ich wollte nicht gar so geschafft an die Arbeit gehen. Also hob ich mir den Wunsch für einen anderen Tag auf – ich hoffe, es gibt noch ein paar schöne Wochenenden in diesem Jahr.

Auf dem Rückweg wurde ich auf einen archäologischen Lehrpfad aufmerksam. Die Gegend war schon in der Bronzezeit besiedelt, auf den Felsen ringsum befanden sich Burgen, und im Elbbogen hatte es eine Furt gegeben, die von den Burgen aus bewacht wurde.
Ich habe immer wieder darüber nachgedacht, wie es wäre, später einmal aus der Stadt ins Umland zu ziehen, und die Gegend um Meißen herum wäre eine, die ich mir gut als Wohnsitz vorstellen könnte.

Wieder fuhr ich durch Nieschütz. Die Möglichkeit, Spargel anzubauen, wäre ein weiteres Argument, sich dort anzusiedeln. Aber nun sah ich die Häuser an, Musterhaus an Musterhaus, mustergültig gepflasterte Einfahrten davor, schnurgeraden Beete mit schnurgeraden Pflanzreihen, sorgsam niedergemähter Rasen mit sorgsam gestutzten Gehölzchen, hier und da ein Töpfchen, vereinzelte Blumenranken, sorgfältig festgebunden. So sehr ich diese Gegend liebe – wohnen möchte ich dort auf keinen Fall. Im Angesicht dieses Spätsommertages fuhr ich lieber vorbei. Gibt es einen innigeren Genuss als den im Bewusstsein der Vergänglichkeit? Ist nicht jedes wahre Glück flüchtig?
Ich kann nicht für die Allgemeinheit, sondern nur für mich sprechen, wenn ich meine, dass Freiheit immer auch Freiheit von etwas ist. Und Glück, der Freiheit beraubt, ist keines.

Da ich meine Tour nicht weiter ausgedehnt hatte, nahm ich mir noch Zeit, den ausgeschilderten Rastplatz mit Elbblick anzufahren. Man fährt bei Nieschütz etwa 200 Meter auf einer Holperpiste Richtung Elbe. Der Rastplatz war eine Enttäuschung, weil der Zugang zur Elbe durch einen Weidezaun versperrt und der Blick auf die Felsen und den Elbbogen von einem Maisfeld verdeckt wurde. Man sollte wohl vorher schauen, wie hoch der Mais steht, ehe man hinunter fährt, aber das kann jemand, der zum ersten Mal den Rastplatz aufsucht, nicht wissen.

Die geliebte Landschaft streifend, fuhr ich wieder Richtung Meißen, rastete kurz an der Elbe und fuhr dann zügig nach Hause zurück. Da ich noch so gut in Form war, dachte ich sehnsüchtig an weitere Strecken, bis mir klar wurde, dass ich diese Leichtigkeit beim Fahren dem Rückenwind verdankte.