Montag, 20. Mai 2013

70 Kilometer Seenland

Wir brechen am Pfingstsonnabend bei Regen in Dresden auf, sind aber zuversichtlich, dass sich das Wetter bessert. Um mit den Fahrrädern zum Senftenberger See zu fahren, sind wir einfach nicht trainiert genug, aber bei dem unbeständigen Wetter sind wir ganz froh über unseren Entschluss, die Räder im Zug mitzunehmen. Nach dem Einchecken im Hotel in Senftenberg fahren wir am See entlang nach Brieske. Wir überqueren die Schwarze Elster und fahren auf der anderen Seite am Damm entlang nach Brieske-Ost. Ab und an, wenn auch selten, kommen wir hierher in den Ort, in dem meine Großeltern gelebt haben und mein Vater aufgewachsen ist. Auch nach vielen Jahren und mit nur spärlichen Erinnerungen findet man sich zurecht. Hinter Neubauten stehen noch die alten Siedlungshäuser; wir finden das Wohnhaus meiner Großeltern und ungefähr weiß ich auch, wo andere Verwandten wohnten, ohne die Grundstücke ausfindig machen zu können. Schnell sind wir am Marktplatz. Der Weg von Brieske-Ost aus zum Markt war schon ein Ereignis in meiner Kindheit, andere typische Ausflüge waren ein Spaziergang hinauf zum Bahndamm, zur Elster oder in den Niemtscher Park. Zu dieser Zeit, 1968 genau, wurde mit dem Bau des Senftenberger Sees begonnen. Ich kann mich noch erinnern an den Kohlenstaub in Brieske, der sich oft wie ein Film überall niederließ. Wehte der Wind ungünstig, konnte im Freien keine Wäsche getrocknet werden. Mein Großvater konnte sich das heutige Erholungsgebiet schon vorstellen, als es dort nur diese vom Bergbau geprägte „Mondlandschaft“ gab, und jedem Besucher schwärmte er vor, wie schön die Gegend einmal sein würde. Leider hat er kaum die Anfänge der Umgestaltung erlebt. Durch den Niemtscher Park, am Abfluss des Sees vorbei, kehren wir ans Wasser zurück und fahren noch ein Stück weiter zum Niemtscher Strand mit seinen schönen, stillen Badebuchten. Das Wetter wird allmählich freundlicher, aber noch sind kaum Leute am See. Vereinzelte Angler, ein paar Radfahrer, baden will niemand. Aber eigentlich ist das ein Glücksfall, den See auch mal ganz ruhig zu erleben, was einem als Tagesausflügler selten vergönnt ist. Auch am Abend, als wir einen Spaziergang in östlicher Richtung nach Buchwalde machen, ist es geradezu einsam am See. Ein paar Taucher und Surfer campieren in ihren Wohnwagen. Wenn ich bedenke, wie selten wir hier sind und wie viele Jahre, Jahrzehnte sogar zwischen den Besuchen vergangen sind, drängt sich der Gedanke an die Vergänglichkeit des Menschen geradezu auf. Man erlebt es im eigenen Umfeld, erlebt es an sich selbst, es ist bestürzend wahr und doch auch erleichternd, wenn man sieht, in welchem Maße sich Menschen die Umwelt aneignen und verändern. Wie gut nur, dass menschlichem Wirken Grenzen gesetzt sind – es wäre sonst nicht auszuhalten. Am Pfingstsonntagmorgen ist es – bei strahlendem Sonnenschein – noch ganz still am See, so dass ich in Ruhe den neuen Stadthafen fotografieren kann. Er wurde erst vor wenigen Wochen eröffnet. Dieser Hafen mit der neuen Seebrücke ist wirklich ein Kleinod und ich lasse lieber Fotos sprechen, statt nach Worten zu suchen, um ihn zu beschreiben. Nach dem Frühstück machen wir uns mit den Rädern auf nach Norden zum Sedlitzer See. Die Radwege sind im Allgemeinen gut ausgeschildert. Nach einer Fahrt durch den Wald können wir einen ersten Blick auf einen Nebenarm des Sees werfen, tatsächlich noch ein Stück Mondlandschaft. Der Sedlitzer See ist noch in Flutung, aber es gibt umfassende Pläne zu seiner Nutzung: ein Lagunendorf, Ferienhäuser, ein ganzes Gewerbegebiet sollen hier entstehen. Derzeit gibt es einen kleinen Fahrweg an den künftigen Strand – und den Radweg, der jedoch Abstand von den gesperrten Ufern hält, weswegen wir den See immer nur aus gebührender Entfernung anschauen können. Was für ein Anblick! Diese weite Seenlandschaft, die hier entstanden ist und noch entsteht, ist eine Wohltat für die Augen und die Seele. Zeitweise kommt mir wirklich der Gedanke an Wiedergutmachung an der Natur, die hier in gewaltigem Ausmaße zerstört worden ist, selbst wenn die Wiedergutmachung nur ein Aspekt von vielen ist, ein Nebenaspekt, da ein Erholungsgebiet ohne Natur nun mal schlecht möglich ist. Die Ausbeutung der Natur zwecks Kohleförderung ist der Kommerzialisierung der Natur durch die Tourismusbranche gewichen. Aber steht man in dieser Landschaft, vergisst man all das und erfreut sich an ihrer Schönheit. Wasser ist das Element des Lebens, wahrhaftig. Der Sedlitzer See wird der größte dieser künstlich geschaffenen Seenlandschaft sein. An seinen Ufern ist es still, es ist auch noch Vormittag, als wir ihn umfahren. An ihn schließt sich der Partwitzer See an. Auch seine Ufer sind eher spärlich bewachsen, aber es gibt einen kleinen Badestrand und ein paar Camper. Ein Schlauchboot wird gerade ins Wasser gelassen – wie muss es sich anfühlen, diese riesige glatte Wasserfläche quasi allein zu befahren! Ein paar ganz Mutige gehen sogar baden. Einige Wohnwagen stehen hier; vermutlich haben diese Leute einen der schönsten Plätze weit und breit erwischt. Am Vorabend war ich glücklich über mein Hotelbett und hätte keinesfalls mit den Campern in Buchwalde tauschen mögen. Hier am Partwitzer See beneide ich die Camper. Ich könnte Stunden, vielleicht Tage damit verbringen, nur aufs Wasser zu schauen und vielleicht ab und an hinein zu gehen. Kein noch so schöner Wellnessbereich kann da mithalten. Am Südufer des Sees schwimmt eine Ente; ihre Spur ist eine ganze Weile die einzig sichtbare Bewegung der Wasseroberfläche. Bei der Weiterfahrt zum Geierswalder See verfahren wir uns zunächst, gelangen bis nach Kleinpartwitz, wo die Radwege enden. Wir fahren also wieder zurück und folgen der Ausschilderung Geierswalde/Kleinkoschen. Kurz vor Geierswalde entschließen wir uns, nicht an den Strand zu fahren, wo es laut und überfüllt zu sein scheint – viele Leute sind auf dem Weg dorthin, und man hört schon den Motorbootlärm. Wir fahren noch ein Stück am Westufer des Partwitzer Sees entlang und bald sehen wir links von uns den Geierswalder See liegen. Diesen See mit seiner hellen Türkisfärbung finde ich beinahe am schönsten. An seinen abgelegenen Ufern ist es auch ruhig und idyllisch, der Motorenlärm ist kaum noch zu hören. Inzwischen sind viele Leute auf Rädern oder Inlineskates unterwegs; die Radwege sind asphaltiert und wegen der geringen Höhenunterschiede sehr gut zu befahren. Oftmals rollt man so gut wie von allein. Ich sehe auch einen Läufer mit Trinksystem im Rucksack – hier joggen zu gehen, vielleicht nicht gerade zu Pfingsten, stelle ich mir durchaus reizvoll vor. An einem Aussichtspunkt rasten sehr viele Ausflügler. Ich entschließe mich, den ca. 30 Meter hohen Turm, genannt „Rostiger Nagel“ zu besteigen. Auf Türme steige ich ungern; ich betrachte es schon im Hinblick auf den Alpenurlaub als kleines Höhentraining. Es klappt gut; man hat auch beim Hinaufsteigen kaum Tiefblicke, es sei denn, man sucht sie. Hier am Aussichtsturm gibt es eine Einkehrmöglichkeit; auch am Partwitzer See und in Richtung Geierswalde gab es kleine Verpflegungsbuden. Wir fahren nun weiter nach Kleinkoschen und sind bald wieder am Senftenberger See. Nun, nach einigen Stunden in der Sonne, können wir eine Abkühlung gebrauchen. Die Angaben zur Wassertemperatur schwanken zwischen 11 und 15 Grad. In Koschen sehen wir doch ein paar Leute im Wasser und suchen uns einen ruhigen Strandabschnitt. Ich finde das Wasser in Ufernähe sehr angenehm, hinausschwimmen würde ich aber noch nicht. So hat es also auch mit Baden geklappt! Nach einer kurzen Pause fahren wir weiter um den See herum nach Niemtsch, und in der Niemtscher Mühle machen wir Kaffeepause. Inzwischen herrscht lebhafter Betrieb auf dem Radweg um den See. Man braucht hier wirklich Fahrräder oder etwas Vergleichbares; alles, was Räder hat, rollt hier entlang, vom Rollstuhl und Rollator angefangen über Inlineskates bis zu den unterschiedlichsten Fahrrädern mit und ohne Anhänger. Wir sind ganz froh, nach Senftenberg abbiegen zu können. Am Abend machen wir noch einen Spaziergang durch den Schlosspark, auf die alte Festung und entlang der Elster und sind mit dem Kurzurlaub mehr als zufrieden. Wir haben freilich nur einen Teil des Lausitzer Seenlandes gesehen, in dem man je nach Wunsch Stunden, Tage oder Wochen unterwegs sein kann. Fotos von unserer Seenlandtour