Dienstag, 10. Januar 2012

10.01.12 Dresden – Wehlen und zurück, 67 Km

Zugegeben, so richtig glücklich bin ich nicht, als ich aufs Fahrrad steige. „Endlich mal wieder eine Radtour machen“ wäre eine gute Ansage gewesen, aber ich empfinde anders: „eine Radtour machen, weil es die einzige Outdoor-Sache ist, die geht“. Eine Frage der Anschauung – aber ich bin gerade nicht so gut darin, mir etwas vorzumachen. Nach ausgiebigem Ausschlafen und einem dringend fälligen Friseurtermin bin ich unruhig, beinahe ein bisschen panisch. Mir ist ja klar, dass an ein paar Resturlaubstagen nicht alles geht. Man kann nicht gleichzeitig ausschlafen und etwas vom Tag haben, nicht ausruhen und zugleich den Haushalt auf Vordermann bringen, nicht entspannen, Sport treiben, Briefe schreiben, Termine wahrnehmen… rein rational betrachtet ist alles klar. Wenn da nicht dieses blöde Gefühl wäre, nichts, aber auch gar nichts im Griff zu haben.

Ich fahre über die Molenbrücke Richtung Stadtzentrum. Die Elbe führt ziemlich viel Wasser. Richtung Meißen ist der Elberadweg vermutlich stellenweise überschwemmt, deswegen fahre ich heute nach Osten aus der Stadt hinaus. Den Wind habe ich im Rücken. Wie ich das nachher mache, wenn es heimwärts geht – mal sehen. Am Neujahrstag bin ich 30 Kilometer mit dem Rad gefahren und empfand das als angenehme Ausarbeitung. Laufen kann ich derzeit nicht, es ist wohl eine Entzündung im rechten Fuß. Radfahren im normalen Touren-Tempo geht aber problemlos.

Es regnet nicht mehr, die Wolkendecke lockert auf, und die Sonne schickt ein paar Strahlen. Ich bin schon im Stadtzentrum angekommen: so schnell geht das mit dem Rad! Die Bewegung, die frische Luft und die Helligkeit heben die Laune. Was habe ich falsch gemacht? Zu viel gearbeitet, zu viel gebaut kurz vor dem Jahreswechsel, zu wenig trainiert – oder war auch das Wenige zu viel? Aber solche Überlegungen führen zu nichts. Ich kann diese Tour machen, mal sehen, wie weit ich komme. An der Albertbrücke überquere ich zum ersten Mal die Behelfsbrücke für Fußgänger und Radfahrer. Der Holzbelag ist bei Nässe etwas rutschig und hat schon einige Leute zu Fall gebracht. Aber heute fährt es sich sehr gut darauf, und es ist angenehm, von den Autos getrennt zu sein. Dann geht es hinunter zu den Elbwiesen, und ich kann immer mal hinüber aufs Wasser schauen. Den Fluss neben mir und die Vögel über mir – da fühlt man sich gleich ganz anders, leicht und befreit. Ich fahre so zügig es geht und werde das tun, so weit es geht. Etwas wärmer hätte ich mich anziehen können, aber es wird schon gehen. Ich trage meine bequemsten Laufschuhe, um sicher zu gehen, dass nichts drückt. Ein wenig kühl und luftig fühlen sie sich an. Am Blauen Wunder vorbei, geht es Richtung Tolkewitz und Laubegast. Ein Glück, dass kein Schnee liegt und ich fahren kann!

Ungewohnt ist es, wieder länger mit dem Rad unterwegs zu sein, und ein wenig Überwindung hat es mich gekostet, loszufahren. Ich weiß nicht, was für eine Strecke ich schaffen werde. Am Elberadweg gibt es immer wieder Bahnhöfe, wo ich notfalls einsteigen kann. Wochenlang war ich morgens die Erste und abends die Letzte im Büro. Dauerstress hinterlässt Spuren, macht irgendwann nur noch müde. Ein paar Tage Urlaub machen aus mir keinen neuen Menschen, aber sie können einiges bewirken, wenn sie gut genutzt werden. Nur: was ist gut?

Hinter Zschieren endet die Stadt Dresden. Das Elbtal wird weit, das Ufer sieht natürlicher, ursprünglicher aus. Heidenau, dann Pirna: ich möchte bis in die Sächsische Schweiz fahren und bin mir nun auch sicher, das zu schaffen. Auf dem Rückweg wäre es realistisch, ab Pirna die S-Bahn zu nehmen. Da ist Pirna auch schon in Sicht: zuerst die neue, dann die alte Elbbrücke – und von dort aus weiter nach Obervogelgesang. Dort erheben sich die ersten Sandsteinfelsen am anderen Ufer. Die Strecke von Obervogelgesang nach Niedervogelgesang zieht sich für mein Empfinden schon in die Länge. Ich überhole ein paar Wanderer, und ab und an zieht ein Radfahrer an mir vorbei. Noch ein Elbbogen – ein sehr schöner, ruhiger, wo oft Raubvögel kreisen, dann müsste Wehlen kommen. Ich ersehne nun eine kurze Pause. Zunächst geht es unter dem Bahndamm hindurch zur Straße hinauf, dann ein Stückchen bergauf. Endlich die ersten Häuser, und nach einer Biegung sehe ich den letzten Anstieg vor dem Bahnhof. Eine S-Bahn fährt Richtung Dresden – aber die hätte ich ohnehin nicht genommen, noch nicht. Absteigen, Pause. Genau zwei Stunden habe ich bis Wehlen gebraucht, aber der Rückweg wird schwieriger werden. Ich habe mir nur zwei Schokoriegel mitgenommen; einer davon ist nun fällig. Ein bisschen trinken – viel mag ich nicht, das Wasser ist kalt. Für eine längere Pause ist es zu kühl. Ich vertrete mir ein wenig die Beine. Der linke Fuß ist stärker ausgekühlt als der rechte. Woran mag das liegen? Ich massiere ihn ein bisschen und steige dann wieder aufs Rad. Zunächst kommt der Wind von der Seite, aber bald weht er mir kräftig entgegen. Bis Pirna noch … das erscheint mir weit. Die Beine würden lieber noch Pause machen. Ich fahre weiter und denke an nichts mehr. Nur geradeaus, so gut es eben geht. Herunterschalten. Niedervogelgesang, endlich Obervogelgesang. Manchmal komme ich kaum von der Stelle. Meine Kondition wollte ich mir erhalten – welche Kondition? Da ist doch so gut wie nichts mehr übrig! Allmählich kommt Pirna näher, aber es ist mühselig. Am Elbeparkplatz biege ich ab Richtung Altstadt. Ich kann nicht mehr, es hat keinen Sinn … aber an geschützter Stelle fährt es sich besser. Der nächste Wegweiser führt wieder zur Elbe hinunter, geradeaus darf ich nicht fahren, Einbahnstraße. Wieder bin ich auf dem Elberadweg – und fahre weiter. Machen die Beine das automatisch – oder ist der Körper am Ende doch klüger? Will er mir gar zu einem Erlebnis verhelfen, das ich ganz gut brauchen könnte? Bis zur neuen Elbbrücke komme ich ganz gut voran. Ein paar Meter weiter, an einer Bank, halte ich an. Ziehe den linken Schuh aus und knete den Fuß durch, in dem ich so gut wie kein Gefühl mehr habe. Die Gore-Tex-Schuhe habe ich zuhause gelassen, ebenso die Überschuhe – so was Blödes aber auch. Die Kapuze an der Jacke ist eine Wohltat; die kann ich jetzt gut über der Mütze gebrauchen. Beim Weiterfahren versuche ich, den linken Fuß stärker einzusetzen und ein bisschen im Schuh zu bewegen. Heidenau… und weiter vorn sehe ich Zschieren. Das ist Dresden! Ich freue mich auf meinen Kaminofen zuhause. Etwas ist mir doch neben dem Job gelungen: mein Zimmer fertigzustellen! Mein Zimmer mit dem Kaminöfchen… Zschieren kommt immer näher. Wann mache ich die nächste Pause? Ich schaffe es bis zur Zschachwitzer Fähre. Hier ist der nächste Schokoriegel fällig. Die Kalorien brauche ich, um bis nach Hause zu kommen. Abnehmen müsste ich, aber ich werde es nicht erzwingen. Nicht mehr zunehmen wäre auch schon ganz gut… Ich schaffe es nicht, den linken Fuß warm und beweglich zu machen. Ein bisschen beweglicher, das muss reichen – bis zum Blauen Wunder und vielleicht auch weiter. An den Elbwiesen bei Tolkewitz wird es noch einmal windig. Herunterschalten… da ist das Blaue Wunder zu sehen. Der Anblick stimmt mich optimistisch. Zweieinhalb Kilometer noch bis dorthin, von dort aus 6 Kilometer ins Zentrum – der Rest ist Arbeitsweg, und der geht immer…

Irgendwann lasse ich das Blaue Wunder hinter mir. Rechts von mir sind die Elbschlösser zu sehen. Mein nächstes Ziel ist die Waldschlösschenbrücke. Die Sonne ist hinter dem Horizont verschwunden. Ich möchte so weit wie möglich ohne Beleuchtung fahren, um Kräfte zu sparen. In Johannstadt schalte ich sie ein, als ich zur Straße hinauf fahre. Ich nehme den Weg mit dem geringsten Anstieg. Bis zur Albertbrücke, das weiß ich vom Laufen, ist es nicht mehr weit. Die Ampel an der Brücke schaltet auf Rot, das gibt mir Gelegenheit zu einer kurzen Pause. Durchatmen. Über die schöne Fahrradbrücke zur Neustädter Seite. Als ich wieder auf den Elberadweg fahre, bin ich trotz der Kälte und der nachlassenden Kräfte gut gelaunt. Da ist das Stadtzentrum, eine Brücke nach der anderen, und hinter der Marienbrücke … Arbeitsweg, den schaffe ich noch. Es ist 16.47 Uhr, als ich mein Fahrrad zuhause einschließe. Der Rückweg hat seine Zeit gedauert. Jetzt ganz schnell aufwärmen, ausruhen und etwas früher schlafen gehen. Morgen steht Krafttraining auf dem Programm. Die Strecke nach Wehlen habe ich bisher noch nie nachgemessen: etwas mehr als 33 Kilometer sind es von mir bis dorthin. Die Gesamtstrecke hat mich geschafft, das ist aber kein Wunder. Schön war es doch - irgendwie.