Da hatte ich doch den Wecker überhört und verschlafen, wenn auch nur um eine Viertelstunde. Das war nicht weiter schlimm, schließlich kommt es beim Start einer Radtour nicht auf die Minute an. Ich hatte zuvor dies und jenes zu tun, wollte in Ruhe frühstücken, und Sohn Daniel kam auch noch dazu. Bei Kerzenschein fühlte ich mich schon in die Adventszeit versetzt, die ich viel lieber mag als das Weihnachtsfest an sich, und es tat mir ein wenig leid, so früh am Morgen wegzufahren, statt gemütlich mit der Familie in den Tag zu starten. Aber ein sonniger Herbsttag war angekündigt, vielleicht die letzte Gelegenheit in diesem Jahr zu einer größeren Radtour, und die wollte ich nutzen.
Kurz nach sieben fuhr ich in einen stimmungsvollen Morgen. Dünne Nebelschleier lagen über den mit Raureif bedeckten Wiesen. Es war kalt geworden, vier Grad über Null, und ich hatte mich dementsprechend angezogen. In Serkowitz gibt es eine kleine Umleitung durch Nebenstraßen, die anfangs beschildert ist. Mein Sohn hatte mich darauf hingewiesen und mir gesagt, wie ich fahren musste. Als ich wieder an der Elbe war, ging die Sonne auf. Rings um einen Rastplatz lagen Scherben verstreut – wenn ich sowas sehe, kriege ich Hassgefühle.
Am Fluss entlang, wo der Nebel dichter wurde, war es sehr schön, und die Morgensonne schien golden übers Land. In Erwartung der kalten Jahreszeit nahm ich immer wieder die Kamera zur Hand, um etwas von diesem Herbsttag festzuhalten. Vergänglichkeit gibt allem einen unschätzbaren Wert.
Ich nahm wieder die Umleitung des Elberadwegs über Altkötzschenbroda. Der Nebel verdichtete sich noch mehr. Der Dorfkern war die reinste Waschküche, und an der Elbe sah es nicht besser aus. Die Sichtweite betrug schätzungsweise fünf Meter. Hinter Radebeul schaltete ich das Licht ein und war froh, die Strecke zu kennen. Die Bauarbeiten bei Niederwartha sind so weit fortgeschritten, dass der Elberadweg geradewegs unter der neuen Brücke hindurchführt. Von der Brücke war wegen des Nebels nur wenig zu sehen. Ein paar Pferde, die auf einer Weide standen, wirkten zunächst ein wenig unheimlich, aber vermutlich ging es ihnen mit mir nicht anders, denn sie sahen aufmerksam zu mir herüber. Ich hoffte darauf, dass sich die Sonne bald durchsetzen und den Nebel vertreiben würde, und ab und an sah ich ein wenig Blau über mir. Aber auch hinter Coswig wurde es nicht besser. Ich fuhr auf Meißen zu und konnte weder die Elbe, noch den Himmel oder irgendwelche Details sehen.
Schon unsere Pilzwanderung am Vortag hatte mich ein wenig geschlaucht; am Nachmittag danach hatte ich gefaulenzt, um mich für die Radtour auszuruhen. Von meinem ursprünglichen Vorhaben, erst nach Moritzburg und von dort aus weiter nach Meißen zu fahren, hatte ich abgesehen; solche Runden habe ich mit Sicherheit noch nicht wieder drauf. Mit der Tour, die ich mir wünschte, würde ich völlig ausgelastet sein. Außerdem wollte ich so wenig wie möglich auf Straßen fahren.
Das lange Fahren im Nebel fing an, die Stimmung und auch die Kondition zu drücken. Ich dachte nicht über den weiteren Verlauf der Strecke nach. Erst einmal musste es klar und sonnig werden.
Als ich in Meißen ankam, verschwand der Nebel binnen weniger Sekunden. Dom und Albrechtsburg waren gut zu sehen. Die Elbe hat immer noch einen erhöhten Wasserstand, und unterhalb der Elbbrücke war der Radweg überflutet. Man konnte aber daneben über Pflastersteine gehen und das Rad schieben. Zurück auf dem Radweg, fuhr ich weiter bis zum Rastplatz hinter der Stadt. Es war neun Uhr, und die erste Pause hatte ich eine Weile schon ersehnt. Die Bänke waren nass vom Tau. Hatte ich nun das erste Drittel oder das erste Viertel meiner Tour hinter mir? Das würde sich zeigen. Ich sah das Elbtal vor mir liegen, und auf einmal verließ mich das Bedürfnis, zu pausieren. Ich trank nur kurz etwas und fuhr weiter. Diesbar, dachte ich mir, würde auch ein guter Platz zum Rasten sein.
Der schönste Herbsttag brach an. Nach der Nebelfahrt waren die Eindrücke überwältigend: blauer Himmel, glitzernde Wiesen, buntes Laub. Nur wenige Menschen waren mir bisher begegnet, einige Läufer, vereinzelte Radfahrer. Beinahe windstill war es, die Elbe war spiegelglatt und schimmerte blau. Kurz vor zehn Uhr kam ich in Diesbar an, nahm auf einer Bank in der Sonne Platz und machte zehn Minuten Pause. Die ersten Wanderer waren unterwegs, außerdem Leute mit kleinen Kindern, welche ihre Eltern wahrscheinlich beizeiten geweckt hatten. Ich kann mich auch noch gut an solche Spaziergänge am Morgen erinnern und freute mich umso mehr über die zurückgewonnene Freiheit, da die Kinder erwachsen werden.
Nun war ich wieder energiegeladen und dachte an das, was ich mir beim Losfahren vorgenommen hatte: alles nur Mögliche aus mir herauszuholen, wenn es nötig sein sollte. Weiter vorn sah ich silberne Schornsteine leuchten. Das war Nünchritz! Zweifellos würde ich dorthin fahren – und am liebsten noch ein Stück weiter. Es ging weiter durch Seußlitz und Merschwitz, und von dort aus war es nur noch ein Stück bis nach Nünchritz. Ich fuhr den ausgeschilderten Radweg am Chemiewerk entlang. Der Pfad an der Elbe ist wegen einer Baustelle gesperrt. Es war wärmer geworden, aber ich konnte weder auf Handschuhe verzichten, noch irgendein anderes Kleidungsstück abwerfen. Acht Kilometer bis Riesa – das wollte ich schaffen.
Im Winter sind Radtouren nicht unmöglich, bei weitgehend schnee- und eisfreien Wegen kann man durchaus fahren. Ich bin schon nach leichtem Neuschnee nach Meißen gefahren, aber bis Riesa und zurück – das würde ich doch bleiben lassen. Deshalb genoss ich ausgiebig diesen goldenen Herbsttag und das Elbtal, das zwischen Meißen und Riesa sehr idyllisch ist. Vorbei ging es an Grödel und der Windmühle, weiter nach Moritz, wo Riesa in Sichtweite kommt. Der Elberadweg führt über einen Deich, und man kann gut nach allen Seiten sehen. Die Elbbrücke bei Riesa war Wendepunkt, aber Pause machen wollte ich erst wieder an einem der schönen Rastplätze bei Moritz oder Grödel. Es war dann schon Moritz, kurz vor halb zwölf; ich hatte die Pause nötig. Es gab einen Proteinshake und Apfelschorle. Künftig werde ich wohl nur noch Bananen, Müsliriegel und solche Shakes mitnehmen, es sei denn, ich wünsche mir etwas anderes. Wasser ist natürlich besser, aber ich hatte nicht entsprechend vorgesorgt.
Nach zehn Minuten brach ich wieder auf. Ich hatte nun Gegenwind, und der war recht frisch, so dass ich noch immer in voller Montur fahren musste. Ein paar Senioren, die mir entgegen kamen, waren allerdings angezogen, als wollten sie zum Nordpol fahren – am Nachmittag müssen sie ganz schön geschwitzt haben. Immer mehr Radfahrerkolonnen tauchten auf, aber noch hielt sich der Verkehr in Grenzen. Bei Leckwitz – ich hatte das Chemiewerk hinter mir gelassen – zog ich eine meiner beiden Jacken aus und verstaute sie samt Handschuhen und Stirnband in meiner Packtasche. Als ich in Diesbar ankam, war es richtig warm geworden. Spaziergänger mischten sich unter die Radfahrer. Es war kurz nach halb eins. Ich machte ein paar Minuten Pause. Eine Stunde schätzungsweise bis Meißen – und dann weitersehen. Der Gegenwind machte sich bemerkbar, ich war wesentlich langsamer als auf der Hinfahrt. Es zog sich hin bis Meißen, und ich überholte nur noch ungern, wenn es gar nicht anders ging. Dann kam Meißen in Sicht. Es gibt dort eine sehr schmale Streckenführung zwischen Straße und Elbufer, durch Geländer gesäumt, wo zwei Fahrräder gerade so aneinander vorbei fahren können. Ich mag diesen Engpass überhaupt nicht und bin immer froh, wenn ich ihn hinter mir habe. Nun war schon einiger Betrieb dort, und die meisten Leute fuhren vorsichtig. Ich hatte den Großteil des Weges hinter mir, als so ein Jüngelchen mit unverminderter Geschwindigkeit auf mich zu und an mir vorbei fuhr. Ich war so weit wie möglich ausgewichen, hatte mich aber verkalkuliert, streifte das Geländer und machte mit dem Rad eine Bauchlandung, die aber, weil ich langsam gefahren war, harmlos ausfiel. Zum Glück war niemand hinter mir gewesen. Den Lenker hatte es ein Stück zur Seite gebogen, aber das ließ sich problemlos korrigieren.
An der Elbpromenade machte ich wieder Pause, diesmal auf einer Bank im Schatten. Nun war ich froh, noch ein Brötchen mitgenommen zu haben. Ich sah eine S-Bahn über die Brücke fahren. Das wäre eine Möglichkeit gewesen, nach Hause zu kommen, aber ich wollte auch das letzte Viertel der Strecke mit dem Rad zurücklegen. Nach zehn Minuten ging es weiter. Hinter Meißen war ich ziemlich geschafft. Nächste Station Coswig. Viele Radfahrer zogen an mir vorbei, was mich nicht weiter störte. Ich wollte zurück nach Dresden, sonst nichts.
Bei Niederwartha fiel mir auf, dass Fußgänger und Radfahrer bereits auf der neuen Brücke unterwegs waren. Nun wurde es richtig voll auf dem Elberadweg – so ein Gedrängel macht mir keinen Spaß mehr. Da lobe ich mir doch die Morgenstunden! Kurz vor Altkötzschenbroda stauten sich Autos und Radfahrer; es ging weder vorwärts noch rückwärts. Einige Radfahrer hatten keine Lust, zu warten, dass sich der Stau auflöste, sondern fuhren drauflos, jede Lücke ausnutzend. Ich fuhr ihnen hinterher und irgendwie da durch – ich wollte nur noch heim. Folgt man in Altkötzschenbroda den Umleitungsschildern, gelangt man auf einen Plattenweg, der zwischen Häusern und Feldern entlang führt. Wahrscheinlich hatte ich das Schild bisher übersehen. Auf die Weise kann man sich die Fahrt über die Hauptstraße sparen.
Als ich Altkaditz vor mir liegen sah, begriff ich, dass ich mein Tagesziel erreicht hatte. Zwei Kilometer noch bis nach Hause – eine Kleinigkeit. Die letzten Meter fuhr ich ganz gemütlich. Viertel vier war ich zuhause. Insgesamt habe ich knapp hundert Kilometer zurückgelegt. Zeitweise hat der Schwung gefehlt; wahrscheinlich war es zu viel an diesem Wochenende gewesen. Aber letztlich doch zu schaffen.
Montag, 11. Oktober 2010
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