Herbstlich ist es draußen geworden. Der Baum vor dem Bürofenster hat sich rot gefärbt, und sieht man das Laub und den Himmel darüber, möchte man am liebsten nach draußen, zu einer Wanderung aufbrechen, anderes tun als Aufträge zu bearbeiten und Anrufe entgegen zu nehmen. So ging es mir am Freitag, als das Wochenende schon in Sicht war, und ich begann, Pläne zu machen. Gern wäre ich ins Gebirge gefahren, kam dann aber doch auf etwas Anderes: ich sehnte mich nach meinem Lieblingsabschnitt des Elberadwegs.
Um Fünf stand ich auf und fuhr dreiviertel Sieben los. Der Familie hinterließ ich eine aufgeräumte Küche und einen gedeckten Frühstückstisch; am Vorabend hatte ich gekocht und Kuchen gebacken. Ich bin immer ganz froh, wenn all das erledigt ist, ehe ich aufbreche. Mein Mann sollte nach der Spätschicht erst einmal ausschlafen können – deswegen keine Wanderung, sondern Radfahren.
Die Sonne war noch nicht aufgegangen, doch ihr Schein ließ die Häuserdächer orangerot strahlen und der Osthimmel war rosa gefärbt. Die Morgenstunden sind oft die schönsten vom Tag, und deshalb bin ich gern früh unterwegs. Bei Radebeul ist ein Teil des Elberadwegs wegen Deichbauarbeiten gesperrt. Ich nahm die ausgeschilderte Umleitung über die Kötzschenbrodaer Straße. Früh am Morgen fuhr es sich dort noch gut; auf dem Rückweg war es bereits unangenehm wegen der vielen Autos, die unterwegs waren, vor allem aber wegen der Fahrer, die rücksichtslos drängelten und den Radfahrern viel zu nahe kamen. Diese Umleitung ist eine Gefahrenquelle – im Berufsverkehr mag ich mir das gar nicht vorstellen! - und ich hoffe, dass sie bald nicht mehr nötig sein wird!
Weiter ging es durch Altkötzschenbroda, einen wunderschönen Stadtteil von Radebeul. Dort möchte man am liebsten das Rad abstellen und bummeln gehen, aber ich war ja unterwegs, um meine Kondition zu steigern, und deshalb fuhr ich weiter, traf wieder auf den Elberadweg und fuhr bald auf Niederwartha zu. Der Brückenbau hat große Fortschritte gemacht; man muss aber immer noch einen kleinen Umweg fahren, der beschildert ist.
Ich hatte vor, in jedem Fall bis Meißen zu fahren, wünschte mir aber, noch ein Stück weiter zu kommen. Es sah nach einem freundlichen Spätsommertag aus, der Himmel war stellenweise blau. Ein Feld mit Sonnenblumen breitete sich rechts von mir aus, die Blumen leuchteten intensiv in der Morgensonne. Der Wind wehte mir aus westlicher Richtung entgegen. Gegenwind hat den Vorteil, dass man seine Kräfte besser einteilt. Außer mir waren nur wenige Fahrer unterwegs, junge Männer in sportlicher Montur oder Einheimische, die vermutlich zu ihren Gärten fuhren. Die jungen Männer zogen schnell an mir vorbei; ich begnügte mich damit, die Einheimischen zu überholen, wenn sie mir zu langsam waren. Ich wollte ausdauernd fahren und dachte dabei an die Worte, mit denen uns unsere Yoga-Lehrerin immer ermahnt: jeder achte auf sich selbst und versuche nicht, mit anderen zu konkurrieren. Ich finde diese Aufforderung sehr wichtig und hilfreich, denn wenn es überhaupt einen Widersacher gibt, mit dem man sich auseinanderzusetzen hat, dann den, der in einem selber steckt.
Der Wind kräuselte das Wasser zu den vielfältigsten Kreiseln und Strömungen, dann aber, hinter Coswig, wurde die Elbe auf einmal ganz glatt und ruhig, und der Himmel spiegelte sich in ihr. Vor Meißen weitet sich das Elbtal. Ich halte gern dort an, um diese Weite zu genießen, dem Wind zu lauschen und nach oben zu den Wolken zu schauen, und auch dieses Mal sah ich mich nach allen Seiten um und fand den Ort und die Wirkung, die von ihm ausgeht, sehr ergreifend.
Diesen Abschnitt des Elberadwegs zu fahren, ist für mich, wie nach Hause zu kommen; ich habe die Tour auch schon beschrieben. Je näher ich der Stadt Meißen kam, desto mehr kam ich im Draußen-Sein, im Unterwegs-Sein an - und konnte ich mir nichts Schöneres vorstellen.
Die Kleingärten am Wegrand waren hübsch anzusehen, die Dahlien standen in voller Pracht, Äpfel, Pflaumen und Quitten reiften, und ich erinnerte mich an unseren Blumen- und Gemüsegarten, den wir längst abgegeben haben. Manchmal denke ich, dass so ein Nutzgarten viele Vorteile hat und auch Freude macht, aber hätten wir ihn noch, fände ich keine Zeit für Touren. Also doch lieber Radfahren und aufs Gärtnern verzichten.
Hinter Meißen machte ich die erste kurze Pause und hatte einen schönen Blick zurück auf Dom und Albrechtsburg. Die zurückgelegten Kilometer – etwas über zwanzig – spürte ich bereits. Diera-Zehren war das nächste Ziel, das ich gern erreichen wollte, aber ich sah noch ein Stück weiter Richtung Diesbar und dachte mir: das schaffe ich doch. Vorbei ging es an Weinbergen, wo Leute schon bei der Arbeit waren. Diera-Zehren war bald erreicht. Dort kreisten drei Rotmilane über mir. Zwei von ihnen waren recht groß, einer war kleiner, aber sie alle waren ziemlich beeindruckend mit ihren ausgebreiteten Schwingen und den gegabelten Schwänzen. An der Elbe zwischen Meißen und Riesa kann man sie relativ häufig beobachten.
Ein Schild zeigte 17 Kilometer bis Riesa an, dorthin wollte und konnte ich mit Sicherheit nicht fahren, aber Diesbar-Seußlitz war nun ein realistisches Ziel. In Nieschütz hatte ich auf einmal wieder viel Schwung – solche Phasen gibt es immer mal, wenn man unterwegs ist. Bewegung im Freien kann sehr viel Energie spenden. In den vergangenen Wochen habe ich oft gedacht, Leistungseinbußen hinnehmen und einen allgemeinen Verfall akzeptieren zu müssen. Wahrscheinlich habe ich wieder einmal zu schwarz gesehen, denn einiges kann man gewiss tun, um fit zu bleiben. Mit einigen Veränderungen wird man sich wohl abfinden müssen. Unterwegs begann ich mir zu wünschen, bis zum letzten Atemzug aktiv zu sein. Ist das vermessen?
Der Elbbogen bei Diesbar kam in Sicht und bald auch der Ort selbst, idyllisch gelegen und von Felsen umgeben. Während ich mich umsah, erblickte ich einen Raubvogel, der über das Wasser flog. So groß, wie er war, hatte ich ihn kurzzeitig für einen Storch gehalten, aber mir wurde schnell klar, dass es keiner sein konnte. Er war größer als die Milane, die ich kurz zuvor gesehen hatte, sehr kräftig, mit weißem Kopf und Hals und hellen Schwanzfedern. Das musste ein Seeadler sein! Er flog direkt auf den nächsten Felsen zu, wo er landete und sitzen blieb, um das Elbtal zu überblicken. Fasziniert hielt ich einen Moment an, um ihn zu beobachten. Es ist bekannt, dass es in der Gegend um Meißen Seeadler gibt, und ich habe mir schon oft gewünscht, einen zu sehen. Bisher hatte ich nur einmal in der Gegend um Moritzburg so ein seltenes Exemplar beobachten können.
Da er sich nicht von der Stelle rührte, fuhr ich weiter nach Diesbar, um dort kurz Rast zu machen. Den Felsen ließ ich nicht aus den Augen. Ich war von dem Erlebnis so euphorisiert, dass auch eine Rückfahrt mit heftigem Gegenwind oder im strömenden Regen an meinem Glücksempfinden nichts geändert hätte. Als ich umkehrte und mich wieder dem Felsen näherte, war der Seeadler nicht mehr zu sehen.
Bei der Rückfahrt hielt ich ein gleichmäßiges Tempo und machte noch drei kurze Trinkpausen, was für eine solche Tour recht häufig war. Die Kondition muss eben erst wieder aufgebaut werden. Die ersten größeren Gruppen von Radfahrern kamen mir entgegen. Hinter Meißen traf ich immer öfter auf Radler, meist Touristen, die regelmäßig anhielten und Fotos machten, was ich gut verstehen kann. Ich hatte dieses Mal keine Kamera mitgenommen, weil ich so zügig wie möglich fahren wollte, schätzte mich aber glücklich, so eine malerisch schöne Gegend in unmittelbarer Nähe zu haben. Und ich freute mich über die zurückgelegte Strecke. Knapp 65 Kilometer müssen es gewesen sein, mein Ego hat sie gebraucht, zugegebenermaßen. Eine Genießer-Tour war es aber trotzdem – oder gerade deswegen.
Samstag, 18. September 2010
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schön geschrieben das ganze, nur haben unsere seeadler (ich kann dir gern auch ein selbst aufgenommenes foto senden von einem aus der gegend um niederlommatzsch) keinen weissen kopf.die weissköpfe gibts nur in amerika. einen seeadler kannst du mit etwas glück am naundorfer stausee zwischen 9 und 11 uhr beobachten. aber vorsicht sie sind sehr scheu.
AntwortenLöschengrüße michael
Vielen Dank für den Tipp! Das werde ich mir vormerken, obwohl ich vermute (mir ist es bisher jedenfalls so ergangen), dass sich seltene Tiere nie dann zeigen, wenn man es erwartet bzw. wünscht. ;-)
AntwortenLöschenIch würde das Foto gern sehen!
gibts hier eine hochlade-funktion. ich würde dir die bilder gern zeigen auch kann ich dir wenn du möchtest die koordinaten geben wo du dich mit dem fenglas oder einer zoomstarken kamera auf die lauer legen kannst um diese majestätischen vögel zu beobachten. wenn du möchtest können wir uns natürlich auch vor ort treffen.
AntwortenLöschenHochladen kann wahrscheinlich nur ich.
AntwortenLöschenDu könntest mir mailen (annetteschons@yahoo.de), dann könnte ich es hochladen. Wenn du das nicht möchtest, wäre es nett, wenn du mir ungefähr schreiben könntest wo. Ich weiß noch nicht, ob ich in diesem Jahr noch eine Radtour hinkriege.
Liebe Annette,
AntwortenLöschenich fahre meist am Wochenende auch elbauf und elbab. Die Tour nach Seußlitz (nur bis Zehren und dann übergesetzt) habe ich gestern gemacht. Gemütlich, nicht als Training. Schauend, riechend, hörend. Ich empfinde vieles auch wie Sie. Ich möchte immer weiterfahren. Nicht aufhören. Gestern Mohn- und Kornblumenfelder. Der Weizen schon recht hoch. Herrliche Farben der Hänge, die Felsbrüche. Die Weite des Flußtales bei Meißen. Auf dem Rückweg (da zum ersten Mal weiter als Meißen) ein fast meditativer Besuch in der Klosterruine zum Heiligen Kreuz.
Aber der Heimweg nach Striesen zog sich dann doch etwas....
Das nächste Mal werde ich irgendwo in der Ferne übernachten.
Viele Grüße von Christine www.atelier-7-stein.de
Liebe Christine,
AntwortenLöschenKompliment, bis Striesen ist es noch ein ganzes Stück weiter als bis Mickten!
Das liest sich sehr schön, vielen Dank für diesen interessanten Kommentar!
Mit Übernachtungen erweitert sich der Radius ja um ein ganzes Stück...
Ich habe in letzter Zeit nur auf Standard-Strecken trainiert und das viel zu selten, aber in zwei Wochen bin ich, wenn alles klappt, von Magdeburg aus Richtung Nordsee unterwegs und freue mich schon sehr!
Viele Grüße von Annette