Dienstag, 28. Juni 2011

28.06.2011 Dresden - Riesa und zurück (Elberadweg), ca. 100 km

Mal wieder eine Radtour zu machen, war einer meiner größten Wünsche für meine Heimurlaubswoche. Ich fand unsere Mehrtagestour zu Pfingsten sehr schön und würde so etwas jederzeit gern wiederholen, aber mir fehlten meine „Alleingänge“. Genauso wie beim Laufen gefällt mir daran die Möglichkeit, mein Tempo, die Ziele und Gestaltung der Tour selbst zu bestimmen. Kompromisslosigkeit ist zwar eine Illusion, aber generell gehe ich Kompromisse sehr ungern ein.

Der Wecker klingelt kurz nach vier Uhr, und ich bin zunächst gar nicht begeistert davon. Aber ich weiß ja, warum ich zeitig losfahren möchte: am liebsten bin ich in den frühen Morgenstunden unterwegs. Heute kommt noch dazu, dass es sehr heiß werden soll; auch deshalb ist es sinnvoll, früh aufzubrechen. Am Vorabend habe ich mir schon die Fahrradtaschen gepackt, so dass ich wenig Zeit brauche – nur der Kaffee muss frisch aufgebrüht werden, denn ohne den geht morgens gar nichts. Es ist bereits hell draußen. Kurz vor fünf Uhr fahre ich los. Ich möchte heute nichts Neues erkunden, sondern mal wieder meine Lieblingsstrecke fahren, nach der ich mich seit Wochen sehne. Ich kürze auch nicht mit der S-Bahn ab, sondern genieße es, von zuhause aus über das Feld Richtung Kaditz und Altkaditz zu fahren. Ein paar Autos sind schon auf den Straßen und der eine oder andere Fußgänger, aber es ist noch sehr ruhig. Einfach wunderbar! Es geht unter der Autobahn hindurch. Vor einer längeren Radtour kommt bei mir immer Ferienstimmung auf, was sich durch den Anblick der Autobahn noch verstärkt: ähnlich wie bei Bahnanlagen, Zügen oder Flugzeugen denke ich ans Reisen.

Hinter Altkaditz fahre ich auf den Elberadweg, und es geht Richtung Meißen. In diese Richtung laufe ich ja oft, aber gerade deswegen wünsche ich mir, hier auch mit dem Rad unterwegs zu sein. Es ist immer reizvoll, eine Gegend auf andere Weise und in anderem Tempo zu durchqueren. Aus dem gleichen Grund gefällt mir auch eine Wanderung, ein Spaziergang oder Lauf auf einer Fahrradroute. Heute finde ich es großartig, schneller vorwärts zu kommen. Ich nehme mir aber auch Zeit zum Fotografieren, wann immer ich es möchte. Außerdem will ich notwendige Pausen nicht auslassen. Altkötzschenbroda muss alternativ durchfahren werden, weil am Elberadweg gebaut wird. Alles scheint noch zu schlafen. Das Rad rollt gerade so schön und ich verpasse das Ende der Umleitung. Ich möchte umdrehen, bemerke aber einen Radfahrer hinter mir und fahre rechts heran. Ich rechne schon damit, wegen meiner Unentschlossenheit angepöbelt zu werden – im Berufsverkehr neigen vor allem Männer zu solchen Reaktionen. Stattdessen erhalte ich den Rat, dass ich auch hier weiter Richtung Elberadweg fahren könne. Natürlich – wie konnte ich das vergessen; ich bin doch diese Strecke schon entlanggelaufen.

Die Sonne ist aufgegangen und färbt das Elbtal golden. Da ist schon die Elbbrücke von Niederwartha! Pferde und Kühe weiden auf den Elbwiesen. Mir fällt auf, dass an manchen Stellen der Boden die Wärme besser speichert als anderswo. Ich ziehe meine Jacke aus, aber dafür ist es noch zu frisch: ich muss sie wieder überziehen und ein Stück offen lassen. Noch im vorigen Jahr bin ich mit Radlerhose und normalen Sachen unterwegs gewesen. Das geht durchaus, aber da ich mir fürs Laufen Funktionskleidung zugelegt habe, nutze ich diese auch beim Radfahren.

Das Schild „Coswig – Heimatstadt der sächsischen Gesundheitsbeere“ lässt mich immer schmunzeln. Gemeint ist die Aroniabeere, die ja wohl gar nicht sächsischen Ursprungs ist – aber der Titel macht etwas her. Etwas darzustellen, bedeutet im Grunde, so zu tun als ob, und in unserer Welt geht es vor allem um Darstellung oder, mit Erich Fromm gesprochen, um Haben statt Sein. Aber ich will nicht ungerecht sein und eine Stadt verunglimpfen, die sich mit einem wohlklingenden Titel schmückt, denn immerhin gibt es hier wirklich Aroniabeeren.

Ich fahre an der Kötitzer Fähre vorbei. Bis hierher bin ich schon gelaufen, und künftig möchte ich noch weiter laufen. Aber heute geht es schneller und leichter voran. An der Elbinsel kann ich einen Reiher beobachten. In den Morgenstunden sieht man sie hier oft. Als ich weiterfahre, breitet sich das Elbtal vor mir aus – und eine Läuferin ist auf dem Weg. Einige Rennradfahrer überholen mich oder kommen mir entgegen, aber auch Männer in Arbeitskleidung und Schüler. Manche – und das sind meist nicht die sportlichen Fahrer – fallen durch ihre seltsam zappelnden, seitwärts ausladenden Bewegungen auf dem Rad auf. Das ist für mich immer höchste Alarmstufe, denn diese Fahrer sind meist unachtsam und unkontrolliert. An Engpässen halte ich schon mal an, wenn mir so einer entgegenkommt. Ich würde das als schlechten Fahrstil bezeichnen, aber sie finden sich vielleicht besonders lässig.

Halb sieben fahre ich durch Meißen und halte an dem Rastplatz hinter der Stadt, von wo aus man Dom und Albrechtsburg gut sehen kann. Hier mache ich Frühstückspause. Bei meinen letzten beiden Läufen habe ich nicht genug getrunken und war deshalb noch tagelang etwas schlapp. Außerdem habe ich den Fehler gemacht, an zwei Wochenenden nacheinander mein Laufpensum zu steigern, noch dazu in einer beruflichen Stresszeit. Es hat geklappt, aber ich möchte diese Woche kürzer treten, nach dem Motto: weniger ist mehr.

Nun kommt ein ganz idyllischer Abschnitt der sächsischen Weinstraße: hübsche kleine Dörfer, gepflegte Vorgärten, Weinberge, die Elbe und das Tal. In Diesbar möchte ich die nächste Pause machen, aber alle Bänke sind im Schatten und da ist es mir noch zu kühl. Ich fahre weiter Richtung Riesa und sehe bald die silbernen Schornsteine des Chemiewerks Nünchritz. Ein Schild weist auf die Leckwitzer Schanze hin: hier gab es slawische Siedlungen, und es sind einige interessante Bodenfunde gemacht worden. Die Schanze ist noch immer ein markanter Hügel in der Landschaft.

Es dauert nicht lange, und ich sehe die Windmühle bei Grödel. Hier lege ich die Knöchelbandage an. Der linke Fuß ist etwas instabil, seit ich damit einmal umgeknickt bin, und ich habe Schwierigkeiten beim Bergantreten. Er ist aber auch so etwas wie ein Alarmknopf, wenn ich es beim Sport übertrieben habe: der letzte lange Lauf war ein bisschen grenzwertig. Die Entscheidung ist gefallen: Riesa wird mein heutiger Wendepunkt sein. Der Radweg führt nun ein ganzes Stück über einen Deich hinweg und fährt sich sehr schön. Ich spiele mit dem Gedanken, vielleicht doch bis Strehla – aber diesen Wunsch streiche ich mir gleich wieder: Von Riesa sind es noch knapp 50 Kilometer bis nach Hause, das genügt für heute. Da wollte ich doch schon wieder über die Stränge schlagen!

Ich mache noch eine kurze Pause in Moritz und fahre weiter bis zur Riesaer Elbbrücke. Jacke endgültig weckpacken, Sonnenbrille auf, nachcremen und zurück. Pralles Sonnenlicht – wie habe ich das jemals nur ohne Sportbrille ausgehalten! Und ich habe leichten Gegenwind, was sehr angenehm ist. Nun fällt mir ein, dass ich mir bereits in Diesbar vorgenommen hatte, eine längere Pause zu machen. Das hole ich bei Grödel nach. Auf der Weiterfahrt begegne ich Radfahrern mit Packtaschen, aber dennoch ist es vergleichsweise ruhig auf dem Elberadweg. Es war richtig, heute die Landstraße zu meiden, denn wochentags sind dort Lastwagen unterwegs, und die Luft ist am Wasser gewiss auch angenehmer.

Die nächste längere Pause findet in Meißen statt. Ich merke schon seit einer Weile, dass ich aus der Übung gekommen bin: die Radfahr-Muskeln sind nicht mehr das, was sie einmal waren. Das möchte ich, wenn es irgend geht, wieder ändern. Bei kleinen Hügeln bin ich etwas vorsichtig und schalte so weit es geht herunter. Ansonsten fährt es sich aber gut mit der Bandage. Heute trinke ich wirklich bei jeder Gelegenheit und bei jedem kleinsten Bedürfnis danach. Diese Radtour möchte ich nicht nachträglich als Strapaze empfinden. Einmal gehe ich hinunter ans Wasser; da ist ein richtiger Strand, und es duftet auch nach danach – fast wie am Meer. So gibt es immer mal einen kurzen Halt, und nach ziemlich genau sieben Stunden komme ich zuhause an.

Fotos

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